Zur selben zeit zur gleichen zeit

Deutschstunde

Zur selben Zeit am gleichen Ort

23.06.2020, 06:16 | Lesedauer: 4 Minuten

Zur selben zeit zur gleichen zeit

Der Verfasser ist Sprachautor und früherer Chef vom Dienst des Abendblatts. Seine Kolumne erscheint dienstags.

Foto: Klaus Bodig / HA

Oder umgekehrt? Manche Ausdrücke scheinen synonym zu sein, sind es aber nicht. Auch die Semantik will beachtet werden.

Hamburg. Was halten Sie von der Stilistik folgenden Satzes, den man so oder so ähnlich während dieser Tage quer durch alle Medien liest oder hört? „Alle Bundesliga-Spiele am kommenden Sonnabend werden um 15.30 Uhr zeitgleich angepfiffen.“ Selbst auf die Gefahr hin, nun für einen verstaubten Oberlehrer gehalten zu werden, erlaube ich mir den Hinweis, dass die Spiele natürlich nicht „zeitgleich“, sondern „gleichzeitig“ beginnen sollen.

„Zeitgleich“ bedeutet den Ablauf gleicher Zeitspannen meist an einem Ort, „gleichzeitig“ jedoch den Beginn vergleichbarer Ereignisse meist an verschiedenen Orten. Wenn zwei Läufer „zeitgleich“ ins Ziel kommen, dann sind sie auf die hundertstel Sekunde genau die gleiche Zeit gelaufen; wenn aber mehrere Veranstaltungen, wo auch immer, „gleichzeitig“ beginnen, so beginnen sie zur gleichen Uhrzeit. Heinz Schnaufer siegte in Berlin zeitgleich vor seinem Landsmann, während diese Zeit gleichzeitig in Moskau als neuer Weltrekord durch Igor Flitzerow unterboten wurde.

Die Sprache unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen. Niemand wird allerdings ganz ohne Fehler sprechen und schreiben, auch ich nicht. Aber es gibt gewisse Parameter, auf die man achten sollte und die den Unterschied zu Klein Erna signalisieren. Wie der Chemiker den Lackmustest als Säure-Base-Indikator benötigt, so gibt es im übertragenen Sinn auch einen Lackmustest der Sprache als Kanon bestimmter Ausdrücke, Regeln und Schreibweisen.

Diese Parameter beziehen sich nicht nur auf die Rechtschreibung, Formenlehre (Morphologie), den Satzbau (Syntax) und die Interpunktion (Zeichensetzung), sondern auch auf die Bedeutungslehre (Semantik). Es gibt wie „zeitgleich“ und „gleichzeitig“ Ausdrücke, die klingen fast gleich, sind aber keine austauschbaren Synonyme. Man sollte zwischen „scheinbar“ und „anscheinend“ unterscheiden können. Die Erde ist nur „scheinbar“ eine Scheibe (es hat den Anschein, trifft aber nicht zu), wenn auch „anscheinend“ (der Beobachtung nach) viele Leute daran glauben.

Das Gleiche ist nicht dasselbe. Etwas flapsig ausgedrückt: Das Gleiche ist stets mehrmals vorhanden, dasselbe jedoch nur einmal. Wenn Hans und Fritz das „gleiche“ Steak essen, dann haben sie vom Kellner jeder einen Teller mit je einem vergleichbaren Steak bekommen, wenn sie aber „dasselbe“ Steak essen, dann streiten sie sich um ein und dasselbe Stück Fleisch auf einem einzigen Teller – jeder abwechselnd einen Happen.

Das Demonstrativpronomen „derselbe“ (dieselbe, dasselbe) setzt das Vorhandensein eines Unikats voraus, also etwas, das es nur einmal in dieser Form gibt. Wenn die beiden Monteure des Schlossermeisters „denselben“ Firmenwagen benutzen, so müssen sie sich das einzig vorhandene Auto teilen. Falls sie aber den „gleichen“ Firmenwagen fahren, so hat der Meister einen zweiten Wagen desselben Fabrikats angeschafft.

Doch nicht alles, was gleich ist, ist ein Unikat und bekommt das Attribut „dasselbe“. Wenn die beiden Läufer „zeitgleich“ ins Ziel kommen, dann haben sie also dieselbe Zeit gelaufen? Nein, die gleiche Zeit! Jeder Läufer hat unabhängig voneinander seine eigene Zeit erzielt, selbst wenn die beiden Zeiten in diesem Fall „gleich“ (übereinstimmend) sind. Hans und Schmusi verabschieden sich am Alsterpavillon. Er sagt: „Wir treffen uns morgen zur selben Zeit am gleichen Ort!“ Falsch! Zur „gleichen“ Zeit am „selben“ Ort, müsste es heißen. Eine Uhrzeit von heute kann nicht dieselbe, sondern nur die „gleiche“ von morgen sein, während der Alsterpavillon morgen noch „derselbe“ wie heute sein wird.

Nicht egal ist es, von den Schmerzen einmal abgesehen, ob sich der Fußballspieler das Bein „mehrfach“ oder „mehrmals“ gebrochen hat. Hat er sich das Bein „mehrfach“ gebrochen, so dürfte nicht nur das Schienbein, sondern auch das Wadenbein gesplittert sein; „mehrfach“ ist ein Vervielfältigungszahlwort und bedeutet Gleichzeitigkeit, „mehrmals“ ist dagegen ein Wiederholungszahlwort. Bei einer Wiederholung erfolgt etwas nacheinander zu verschiedenen Zeitpunkten. Der Spieler litt in den letzten Jahren „mehrmals“ unter der gleichen Verletzung und taugt jetzt höchstens noch für den HSV.

Di., 23.06.2020, 06.16 Uhr

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