Wieso ist Sophie Scholl berühmter als Hans Scholl?

Die Widerständlerin Sophie Scholl, 1943 gemeinsam mit ihrem Bruder Hans von den Nationalsozialisten hingerichtet, wurde 1921 in Forchtenberg/Kocher geboren. Wir haben ihren Geburtsort besucht. Ein kurzer Abriss der Geschichte des Geschwisterpaars.

„Vom Gehorsam zur Freiheit“ oder „Vom Ja zum Nein“ - so lauten die Titel zweier Bücher über das kurze Leben der Sophie Scholl. Der Tenor dieser zwei Bücher ist ähnlich und doch unterschiedlich.
Das erste Buch - „Vom Gehorsam zur Freiheit“ wurde von Ferdinand Schlingensiepen geschrieben - spricht von Gehorsam, wo, zumindest im Fall von Sophie Scholl, eher das begeisterte „Ja“ am Anfang steht. So wie es auch Sophies Jugendfreundin Susanne Hirzel in ihrem Buch „Vom Ja zum Nein - Eine schwäbische Jugend zwischen 1933 und 1945“ beschreibt.

In Forchtenberg am Kocher als viertes Kind von Lina und Robert Scholl geboren, wird Sophie in der Pfarrkirche auf den Namen Sophia Magdalena getauft. Hans Scholl ist drei Jahre älter - er wird am 22. September 1918 in Ingersheim bei Crailsheim geboren.

Die Eltern Magdalena und Robert lernen sich während des ersten Weltkrieges kennen – er als Sanitäter und sie als Diakonissin der evangelischen Schwestern Schwäbisch Hall. Magdalena, genannt Lina, ist zehn Jahre älter als Robert und eigentlich zu lebenslanger Ordenstreue verpflichtet.
Der junge Mann legt sich heftig ins Zeug, um die stark im christlichen Glauben verwurzelte Frau zu gewinnen. Er hat Erfolg und sie heiraten 1916. Das starke Gefälle zwischen der tief gläubigen Lina und dem agnostisch gesinnten, das heißt, nicht an einen persönlichen Gott glaubenden Robert, bleibt ihnen die ganze Ehe lang erhalten. Dennoch mischt sich Robert nicht in die christlich geprägte Erziehung der sechs Kinder ein; er hat großen Respekt vor Linas Glauben. 1917 wird Robert Scholl Schultheiß (Bürgermeister) der Gemeinde Ingersheim an der Jagst und 1920 Bürgermeister von Forchtenberg.

Unbeschwerte Kindheit in Forchtenberg

Die Mutter hat einen großen Garten vor den Toren der Stadt gepachtet, in dem Sophie und ihre Geschwister oft spielen. Im Kocher lernt Sophie Scholl schwimmen, und ihre Streifzüge zwischen Burgruine und Weinbergen erwecken in ihr eine große Liebe zur Natur. Geborgen in einer glücklichen Familie und getragen von dem religiös geprägten Alltag der Mutter, verlebt die kleine Sophie in der Kleinstadt am Kocher eine unbeschwerte, schöne Kindheit.

1930 verliert Robert Scholl die Bürgermeisterwahl in Forchtenberg und bewirbt sich bei der Handwerkskammer Stuttgart. Er wird Leiter der Kammer, und die Familie zieht nach Ludwigsburg. Zwei Jahre später müssen die Scholls abermals umziehen. Der Vater hat eine Stelle in einem Steuerberatungsbüro in Ulm angetreten und kann, nach Ausscheiden des Inhabers, dieses Büro übernehmen. Ulm wird zum Lebensmittelpunkt der Familie, vor allem der Kinder.

"Das Braunhemd steht ihm gut"

Die zwei Ältesten, Inge und Hans, treten nach einer kurzen Zeit in der freien, bündischen Jugendbewegung, in die Hitlerjugend (HJ) bzw. den Bund deutscher Mädel (BDM) ein. Sie machen dort schnell Karriere, und Inge schreibt über den ersten Tag ihres Bruders in der HJ: „Das Braunhemd steht ihm gut.“

Die Eltern, aus unterschiedlichen Gründen, teilen die Begeisterung ihrer Kinder für Hitler nicht. Aber sie lassen ihnen die Freiheit der Entscheidung, darin sind sie sich einig. Sophie folgt dem Beispiel ihrer Geschwister und wird mit vierzehn Jahren Führerin einer Jungmädelschaft. Drei Jahre später, 1937, ist sie Gruppenführerin im BDM und verantwortlich für 120 Mädchen. Am Palmsonntag 1937 erscheinen Sophie und ihr jüngerer Bruder Werner als einzige in HJ Uniform zur Konfirmation in der Kirche.

Die Nazis bedienen Sehnsüchte

Sportlich, abenteuerlustig und begeisterungsfähig teilen die Schollkinder das Schicksal einer ganzen Generation, und die Nationalsozialisten bedienen die Sehnsüchte dieser Nachkriegsjugend, vor allem in der Person des charismatischen Reichsjugendführers Baldur von Schirach.

1937 ist auch das Jahr, in dem die Gleichschaltung der Massen sämtliche Organisationen des NS Staates erfasst. Hans Scholl überwirft sich mit dem Führer des Stammes Ulm der HJ und verliert seinen Posten als Fähnleinführer. Er schart eine Gruppe Gleichgesinnter um sich und veranstaltet mit ihnen Fahrten und Heimabende.

Säuberungswelle gegen "bündische Umtriebe"

Abseits der HJ werden bündische Traditionen gepflegt und verbotene Bücher gelesen. Am 10. November 1937 werden Inge, Sophie und Werner verhaftet, das Elternhaus wird von der Gestapo durchsucht. Die Verhaftung ist Teil einer reichsweiten Säuberungswelle der HJ gegen „bündische Umtriebe“.

Hans Scholl, das eigentliche Ziel der Aktion der Ulmer Gestapo, ist aber Soldat und steht unter dem Schutz der Wehrmacht. Die drei Geschwister werden entlassen und Hans kommt im Dezember in Untersuchungshaft. Sein Vorgesetzter setzt sich für Hans ein. Der junge Mann wird aus der Haft zu seiner Einheit entlassen und im Januar 1938 amnestiert.

Ablehnung des "gottlosen Regimes"

Der Keim zu Zweifel und Widerstand ist in allen Schollkindern gelegt. Der Zweifel wächst mit den Ereignissen wie der Reichsprogromnacht im November 1938, dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen 1939 und in die Sowjetunion 1941. Aus den Idealen ihrer Jugend ist die Ablehnung eines „gottlosen Regimes“ geworden.

Fritz Hartnagel

1937 lernt Sophie Scholl den Offiziersanwärter Friedrich Hartnagel kennen und verliebt sich in ihn. Friedrich, genannt Fritz, ist Sohn eines Ulmer Kleinunternehmers und findet bei den Scholls ein Familienleben, das er nie hatte. Die beiden unternehmen Ausflüge und machen gemeinsam Urlaub.
Fritz ist überzeugter Berufssoldat und wird 1939 beim Frankreichfeldzug als Nachrichtenoffizier der Luftwaffe eingesetzt.

Sophie bereitet sich auf ihr Abitur vor. 1940 schließt sie die Schule ab. Anschließend muss sie für ein halbes Jahr zum Reichsarbeitsdienst nach Krauchenwies. Die Verlobten schreiben sich häufig. Die wenige Zeit, die ihnen bleibt, verbringen sie miteinander.

Sophie möchte unbedingt in München studieren, wie ihr Bruder Hans, aber sie wird noch einmal dienstverpflichtet. Diesmal für ein halbes Jahr an die Schweizer Grenze, wo sie einen Kinderhort alleine zu leiten hat.
Fritz ist derweil als Spezialist an fast allen Fronten eingesetzt, wird aber 1941 nach Weimar zu einer Ausbildungseinheit der Luftwaffe beordert. Um Sophie zu sehen, fährt er jedes Wochenende nach Ulm. Sein Marschbefehl nach Russland kommt im Frühjahr 1942 - zur selben Zeit wie Sophie das Studium in München aufnehmen kann. Für Fritz und Sophie ist es der letzte Abschied.

Studium in München

Sophie Scholl beginnt ihr Studium an der Ludwig–Maximilian Universität in München und belegt die Fächer Biologie und Philosophie. Hans Scholl studiert hier schon seit einiger Zeit Medizin. In den Semesterferien müssen Hans und seine Kommilitonen Dienst auf einem Truppenverbandsplatz an der Ostfront machen. Sophie arbeitet als Fabrikarbeiterin in Ulm.

Die "Weiße Rose"

Die Kriegserlebnisse im Osten und der Einfluss katholischer Gegner des NS Regimes an der Universität führen zur Gründung der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ im Herbst 1942. Hans ist einer von ihnen. Er versucht, seine Schwester von den Aktionen der Gruppe fern zu halten.

Die Gruppe entwirft Flugblätter, in denen sie zum Widerstand gegen Hitler aufruft. Anonym an bekannte Persönlichkeiten verschickt, im öffentlichen Raum platziert und in Briefkästen verteilt, bringt die kleine Gruppe Tausende von Flugblättern unters Volk. In München, aber auch in anderen süddeutschen Städten, werden ihre Aktionen immer bekannter.

Wendepunkt des Krieges ist die Tragödie in Stalingrad im Januar 1943. In dieser Schlacht zwischen Wehrmacht und Roter Armee muss die 6. Armee unter Generalfeldmarschall Paulus kapitulieren. 90 000 deutsche Soldaten geraten in russische Gefangenschaft, von denen nur 6000 den Krieg überleben. 700 000 Soldaten verlieren ihr Leben auf beiden Seiten des Schlachtfeldes.

In einer Rede zum 470jährigen Jubiläum der Universität München im Februar 1943, ruft der Münchner Gauleiter der NSDAP zum Durchhalten auf und spricht von „Drückebergern in der Heimat“. Es kommt zu wütenden Protesten der Studenten - unter ihnen viele junge Soldaten und Kriegsversehrte – sowie Angriffen auf die Polizei. In der darauffolgenden Nacht tauchen an Häuserwänden Parolen auf wie „Nieder mit Hitler“ und „Freiheit“.

Wieso ist Sophie Scholl berühmter als Hans Scholl?

Die Weiße-Rose-Stiftung

Wer sich intensiver mit der Geschichte der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" beschäftigen möchte, dem empfehlen wir einen Besuch der Website der Weiße-Rose-Stiftung e.V.  und/oder einen Besuch der "Denkstätte Weiße Rose" am Lichthof der der Ludwig-Maximilians-Universität, Geschwister-Scholl-Platz 1  in München.

Im Lichthof erinnert ein Bronzerelief an die sieben hingerichteten Mitglieder der studentischen Widerstandsgruppe: Willi Graf, Professor Kurt Huber, Hans Leipelt, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Hans und Sophie Scholl.

Die Denkstätte ist geöffnet von Montag bis Freitag, 10-16 Uhr und Samstags von 12-15 Uhr.

Die Flugblattaktion vom 18. Februar 1943

Die Gruppe um Hans Scholl beschließt eine Flugblattaktion für den 18. Februar in den Universitätsgebäuden. Diesmal lässt sich Sophie von ihrem Bruder nicht mehr davon abhalten mitzumachen.

Die Geschwister betreten am Vormittag des 18. Februars die noch leere Universität. Sie legen ihre Flugblätter vor den Hörsälen und in den Fluren aus und wenden sich unbemerkt zum Hinterausgang an der Amalienstrasse.

Übermütig geworden, entschließen sie sich kurz vor Verlassen des Gebäudes, die restlichen Exemplare vom oberen Stock aus in den Lichthof am Eingang zu werfen. Jetzt werden sie vom Hörsaaldiener entdeckt und mit Hilfe von herbei gerufenen Kollegen festgesetzt. Sie werden sofort an die Gestapo ausgeliefert und tagelangen Verhören unterzogen.

Tod durch das Fallbeil

Der extra aus Berlin nach München beorderte „Blutrichter“ Roland Freisler macht kurzen Prozess und verurteilt Hans und Sophie Scholl, sowie ein weiteres Mitglied der Gruppe, zum Tode durch das Fallbeil. Am 22. Februar 1943 wird das Urteil im Hof des Gestapo Hauptquartiers im Wittelsbachpalais vollstreckt.

Zur gleichen Zeit entkommt Fritz Hartnagel der „Hölle von Stalingrad“ mit einem der letzten Flugzeuge. Er hat schwere Erfrierungen an Händen und Beinen davon getragen und liegt im Lazarett von Lemberg. Erst am 23. Februar 1943 erfährt Fritz von der Verhaftung seiner Verlobten. In einem Eiltelegramm richtet er ein Gnadengesuch an den Richter – als es in München ankommt ist Sophie Scholl schon tot.

Später

Nach Ende des Krieges heiratet Fritz Hartnagel die Schwester Sophies, Elisabeth, und wird Jurist in der jungen Bundesrepublik. Er setzt sich mit Leidenschaft gegen die Wiederbewaffnung und für die Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung ein. Als Vorsitzender Richter am Landgericht in Stuttgart geht er Anfang der 1980er Jahre in den Ruhestand, aber Ruhe gibt er nicht.
1983 beteiligt sich Hartnagel an der Blockade des Pershing II Standortes der US Streitkräfte in Mutlangen. Festgenommen und angeklagt, wird er vor dem Amtsgericht Schwäbisch Gmünd zu einer Geldstrafe verurteilt.

Nicht zuletzt durch den starken Einfluss von Sophie Scholl ist der ehemalige überzeugte Berufsoffizier zum Kriegsgegner geworden. Friedrich Hartnagel stirbt im Jahre 2001.

Warum gilt Sophie Scholl als Vorbild?

Sophie Scholl ist für viele Menschen noch immer ein Vorbild für Mitmenschlichkeit, Zivilcourage und Glaubensmut, so der Scholl-Biograf. Man könne bei der Beschäftigung mit ihrem Leben aber auch lernen, einen Menschen in seiner Zwiespältigkeit anzunehmen.

Welche Charaktereigenschaften zeichnen Sophie Scholl aus?

Sophie war «wie ein feuriger wilder Junge, trug die dunkelbraunen glatten Haare im Herrenschnitt (. . .) war lebhaft, keck, mit heller klarer Stimme, kühn in unseren wilden Spielen u. von einer göttlichen Schlamperei», so erinnert sich ihre Freundin Susanne Hirzel.

Waren die Geschwister Scholl erfolgreich?

Vor 70 Jahren wurden die Geschwister Scholl verhaftet und hingerichtet. Die Studenten hatten zum Widerstand gegen das Nazi-Regime aufgerufen. Sie gelten bis heute als Vorbilder der Zivilcourage.