Gudrun Krämer ist Islamwissenschaftlerin an der Freien Universität zu Berlin. Show I. Der Islam in der Welt Wie jede Weltreligion ist der Islam von Vielfalt geprägt. Das gilt für seine Lehren, es gilt vor allem aber für die Art und Weise, in der Musliminnen und Muslime ihre Religion verstehen und leben. Die Unterschiede sind in vielen Fällen konfessionell bedingt, wenn der aus dem Christentum entlehnte Begriff der "Konfession" an dieser Stelle für die großen Strömungen der Sunniten, der Schiiten oder auch der Aleviten erlaubt sein mag. Die Unterschiede sind aber auch durch lokale Traditionen geprägt, durch soziales Milieu, Geschlecht, Alter und nicht zuletzt durch persönliche Präferenzen, und dies nicht erst in der Moderne mit den ihr eigenen Individualisierungstendenzen. All das betrifft das Verhältnis von Religion und Staat, Religion und Recht, Religion und Gesellschaft, das uns hier interessiert. Wie die aktuellen Auseinandersetzungen in Ägypten und Tunesien zeigen, ist das säkulare Prinzip, das in der einen oder anderen Weise zwischen Religion, Recht und Staat unterscheidet, in der islamischen Welt durchaus bekannt – und hoch umstritten. Auch die islamische Welt hat Prozesse der Säkularisierung durchlaufen, in deren Verlauf große Bereiche von Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Recht der Kontrolle religiöser Normen und Instanzen entzogen wurden - selbst in Saudi-Arabien oder Iran, die sich als dezidiert islamische Staaten verstehen. Die Frage lautet daher nicht, ob islamische Gesellschaften gegenüber den globalen Prozessen der Modernisierung und Säkularisierung grundsätzlich immun sind, sondern wie diese Prozesse im Einzelnen verlaufen und inwieweit sie in den jeweiligen Gesellschaften als legitim und erstrebenswert wahrgenommen werden. Die Debatte ist lebhaft, unter gläubigen Muslimen ebenso wie unter kritischen Beobachtern. Eine gewisse Verwirrung in begrifflicher und konzeptioneller Hinsicht ist dabei nicht zu übersehen: Die Wissenschaft diskutiert über Säkularität, Säkularisierung und Säkularismus als unterscheidbare Größen. Die öffentliche Diskussion macht diese Unterscheidungen selten, und dies nicht nur in der islamischen Welt. II. Zur Trennung von Religion und Staat Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung waren Religion und Politik in den vormodernen islamischen Gesellschaften nicht so eng miteinander verknüpft, wie zeitgenössische Islamisten glauben machen wollen. Sie behaupten, im Islam seien Religion und Staat notwendig miteinander verbunden, ja, der Islam sei überhaupt "Religion und Staat" in einem. Sieht man vom frühen siebten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung ab, als Muhammad als Prophet in Mekka und Medina an der Spitze der muslimischen Gemeinde stand, waren Religion und Politik nicht enger verquickt als im zeitgenössischen Europa, als in Japan oder Indien. Selbstverständlich standen politische und religiöse Akteure in einem anderen Verhältnis zueinander als im zeitgenössischen Europa: Anders als das Christentum kennt der Islam keine Kirche als hierarchisch verfasste Heilsanstalt mit Dogmenkompetenz. Er kennt allerdings Religions- und Rechtsgelehrte, die sich der korrekten Interpretation der normativen Texte widmen – des Koran als Gotteswort und der Sunna als der Überlieferung vom Reden und Handeln Muhammads als Prophet, der nach muslimischer Überzeugung Gottes Gebot vorbildlich und verbindlich verkörpert hat. Es lässt sich nun argumentieren, dass die islamischen Religions- und Rechtsgelehrten, die Ulamáa, in bestimmten Gesellschaften die Rolle eines Klerus spielten: Zwar waren sie, anders als der christliche Klerus, keine Heilsvermittler, die Sakramente stiften, doch übernahmen sie kraft ihres religiösen Wissens zentrale Aufgaben - nicht nur im Gottesdienst, sondern auch im Bildungs- und im Rechtswesen. Insofern wird man heute zwar nicht nach dem Verhältnis von "Kirche" und "Staat" bei der Gestaltung einer islamischen Ordnung fragen, wohl aber nach der Stellung der islamischen Religions- und Rechtsgelehrten. Die Islamische Republik Iran mit ihrer Staatsdoktrin von der "Führerschaft des Rechtsgelehrten" und Ägypten mit seiner Diskussion um die Rolle der Al-Azhar-Universität in Rechtsprechung und Verfassung illustrieren das deutlich. III. Zur Privatisierung von Religion Zu den problematischsten Elementen westlicher Modernisierungs- und Demokratietheorien gehört die These, Religion sei im Verlauf der Säkularisierung zur Privatsache geworden und sollte dies im Sinne der Wahrung des gesellschaftlichen Friedens und der öffentlichen Ordnung auch bleiben. Klammern wir die dahinterstehenden, für eine demokratische Ordnung so grundlegenden Annahmen von der Gleichheit aller Menschen und der Gleichwertigkeit aller religiösen Überzeugungen an dieser Stelle aus. Beschränken wir uns auf ihre, wenn man so will, praktischen Aspekte. Dann gilt die Privatisierungsthese nur für Religionen, in denen sich Glaube, Zugehörigkeit und Kultus voneinander trennen lassen und in denen der Kultus, unabhängig von staatlichem Handeln, freiwillig und vollwertig ausgeübt werden kann. Das trifft auf Christentum und Islam prinzipiell zu. Aber auch in ihnen ist Religion mit gewissen Werthaltungen, möglicherweise sogar mit einer bestimmten Lebensführung verbunden, die sich nicht auf eine private Sphäre beschränken lassen - ganz gleichgültig, wie diese private Sphäre auch definiert wird. Sobald also mit der These vom Rückzug der Religion in die Privatsphäre mehr gemeint ist als die Trennung von Religion und Staat – und von dieser Dimension war bereits die Rede – , stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von privatem und öffentlichem Raum. IV. Die Verschiebung der Grenzen zwischen Privat und Öffentlich Die Gleichsetzung von muslimischer Identität und öffentlicher Moral drückt sich häufig in der geradezu demonstrativen Einhaltung religiöser Pflichten, Speiseregeln und Kleidungsvorschriften aus, die – nicht immer zu Recht – auf Koran und Sunna zurückgeführt werden. Fast überall stehen im Mittelpunkt das Verbot von Alkohol und Drogen, die Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum sowie "anständige" Kleidung im Allgemeinen und der Schleier im Besonderen. Wie im Judentum markiert die Beschneidung den Körper des männlichen Gläubigen; den weiblichen Körper markieren Kleidung und Kopfbedeckung. An dieser Stelle lässt sich die Verknüpfung von Religion, Konvention und Mode gewissermaßen mit Händen greifen, die das Phänomen der öffentlichen Frömmigkeit insgesamt charakterisiert. Spezifisch islamisch ist am ehesten deren Politisierung im Zeichen einer forcierten Identitätspolitik. Islamische Medien und soziale Netzwerke, eine eigene, kommerziell agierende und rapid expandierende islamische Konsum- und Massenkultur sorgen für die globale Verbreitung bestimmter Vorstellungen von islamischer Moral und Frömmigkeit. Sie unterstreichen zugleich die enge Verbindung von technischer Moderne und öffentlicher Frömmigkeit, die nicht nur für den Islam konstatiert worden ist. Welche Rolle spielt die Religion für den Staat?Neutralitätsgebot. Laut Bundesverfassungsgericht muss der Staat "Heimstatt aller Bürger" sein - unabhängig von ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis. Der Staat darf sich daher selbst nicht mit einem bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren.
Was bedeutet es Religion und Staat zu trennen?Laizismus, auch Laizität, (von altgriechisch λαϊκός laïkós, deutsch ‚der Ungeweihte, Laie', im Gegensatz zum Priester) ist ein religionsverfassungsrechtliches Modell, dem das Prinzip strenger Trennung zwischen Religion und Staat zugrunde liegt.
Wie hängt Kirche und Staat zusammen?Der deutsche Staat hat sich in seiner Verfassung verpflichtet, Religionen und Weltanschauungen neutral zu begegnen. Er darf sich selbst mit keinem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren.
Was ist die Funktion von Religion?Religion hat eine Leit- und Orientierungsfunktion. Sie vermittelt Deutungen für Lebenserfahrungen (wie Leiderfahrungen, Verlust und Tod), von Geschichtlichkeit (Ursprung und Ziel des Seins, Sinn des Lebens) und Natur (Schöpfung, Weltordnung).
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