1. AktDie erste Szene spielt 1914 an einer nach dem Lederwarengeschäft Sirk benannten Straßenecke in Wien (Ringstraße / Kärntnerstraße). Soeben traf die Meldung von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers am 28. Juni 1914 in Sarajewo ein.
Einige Passanten grölen: „Die Russen und die Serben, die hauen wir in Scherben!“ (Seite 24)
Dann fragt der erste Verehrer der Reichspost seinen Gesprächspartner, ob man ihn denn bereits einberufen habe, und es stellt sich heraus, dass sie beide ausgemustert wurden. Generalstabschef Conrad von Hötzendorf kann es kaum erwarten, bis der Hoffotograf Skolik erscheint, doch als dieser endlich gemeldet wird, spielt er den Überraschten.
Skolik tritt auf. Conrad tut so, als studiere er eine militärische Karte und bemerke ihn erst nach einiger Zeit. Dann schützt er vor, sehr beschäftigt zu sein und keine Zeit für eine neue Fotografie zu haben.
Scheinbar widerstrebend lässt er sich am Ende doch die Erlaubnis für eine Aufnahme abringen.
Auf dem Kohlmarkt erläutert ein Kurzwarenhändler, wie die Russen und ihre Verbündeten zu besiegen sind:
Ein Patriot und ein Zeitungsabonnent diskutieren darüber, was der Krieg für die Wiener bedeutet.
Ein Feldgeistlicher, der die Soldaten im Schützengraben an der Front besucht, fragt: „Feuerts tüchtig eini in die Feind?“ (Seite 36) Der Wiener Viktualienhändler Vinzenz Chramosta herrscht einen Kunden an: „Wos wolln Sö? Kosten wolln Sö? Sö Herr Sö, was glauben denn Sö? Jetzt is Kriag!“ (Seite 40) Und der Volksschullehrer Zehetbauer erklärt seiner Klasse: „Jetzt aber sind höhere Ideale über uns hereingebrochen, sodass der Fremdenverkehr ein wenig zurückgedrängt ist und erst in zweiter Linie in Betracht kommt.“ (Seite 43) In einer Wallfahrtskirche, zeigt der Messner den Besuchern ein Weihegeschenk: einen Rosenkranz aus italienischen Schrapnellkugeln.
2. Akt
Anton Grüßer führt ein Restaurant in Wien. Dort wird ein österreichischer Offizier ungeduldig.
Der Zeitungsabonnent setzt dem Patrioten auseinander, wie es zum Weltkrieg kam:
3. Akt
Frau Kommerzienrat Auguste Wahnschaffe:
4. Akt
Aus dem Hotel Bristol in Wien kommen zwei Kommerzialräte. Ohne auf die Bettlerin neben ihnen zu achten, schimpfen sie darüber, dass kein Taxi zu sehen ist.
Bei einem Ärztekongress in Berlin weist einer der Professoren auf die Vorteile des Krieges für die Volksgesundheit hin:
Der Patriot und der Zeitungsabonnent diskutieren wieder einmal:
Im Kriegsministerium spielt sich währenddessen folgende Szene ab:
Im Dorf Postabitz schreibt eine Frau einen Brief an ihren Mann:
5. Akt
Bei Udine begegnen sich zwei Generale, von denen jeder mit einem über und über bepackten Auto unterwegs ist:
Deutsche Offiziere sind bei ihren österreichischen Verbündeten zu einem so genannten Liebesmahl in Wien eingeladen. Sie feiern bei Musik und Tanz, obwohl die Front näher rückt. Als eine heftige Detonation zu hören ist, meint ein Artilleriereferent: „Das war a schwarer Pumperer!“ (Seite 204) Alle paar Minuten stürzt ein Telefonoffizier auf den österreichischen General zu und flüstert ihm eine neue Meldung ins Ohr. Der General reagiert immer ungehaltener: „Was? Die elendigen – die elendigen – diese Frontschweine –!“ (Seite 203) – „Was?! Die Gasgranaten gehen auch nicht?! Sauwirtschaft überanand!!“ (Seite 208) Schließlich springt der General mit hochrotem Kopf auf und schlägt mit der Faust auf den Tisch:
Ein preußischer Offizier versucht, den österreichischen General zu beruhigen:
nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe) „Die letzten Tage der Menschheit“ ist eine „Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel und Epilog“ von Karl Kraus (1874 – 1936). Das Stück hat weder eine überschaubare Anzahl von Protagonisten noch eine fortlaufende Handlung, sondern besteht (in der Originalfassung) aus zweihundertzwanzig Szenen, in denen hunderte von Figuren aus allen Gesellschaftsschichten auftreten: Hofbeamte, Offiziere, Soldaten, Kriegsberichterstatter (darunter Alice Schalek), Zeitungsverkäufer, Kleinbürger, Adelige, Spekulanten und Kriegsgewinnler, Händler, Blumenfrauen, Bettler, ein Patriot und ein Nörgler (Karl Kraus‘ Alter Ego). Die Szenen spielen beispielsweise an einer Straßenecke in Wien (Sirk-Ecke), in Wohnungen, Gaststätten, Festsälen, Büros, Kasernen, Lazaretten und Schützengräben. Aus Dialogen, Ansprachen, Briefen, militärischen Tagesbefehlen, Zeitungsmeldungen montierte Karl Kraus eine monumentale Collage über den Ersten Weltkrieg. Von Akt zu Akt wird die Lage für Österreich und Deutschland düsterer: Die Kastrophe naht unaufhaltsam. In „Die letzten Tage der Menschheit“ geht es weniger um die Kriegsgräuel an der Front als um Dummheit, Verlogenheit und Gedankenlosigkeit; Karl Kraus nimmt die hohlen Phrasen dümmlicher Offiziere ebenso aufs Korn wie die Skrupellosigkeit der Kriegsgewinnler und die Sensationsgier der Journalisten. Zusammengehalten werden die vielen Szenen durch das wiederholte Auftreten bestimmter Figuren und die Variation von Motiven. Das Ende ist surreal: Da treten Tote auf, und Gott klagt (mit den Worten Kaiser Wilhelms II.): „Ich habe es nicht gewollt!“ „Die letzten Tage der Menschheit“ sind angebrochen. Mehr als achtzig Jahre nach der Entstehung hat dieses Antikriegsdrama von Karl Kraus noch nichts von seiner Wirkung verloren. Liest oder hört man „Die letzten Tage der Menschheit“, ist man überwältigt von dem Ideenreichtum des monumentalen Stückes. Wie kaum ein anderer hat Karl Kraus es verstanden, seiner scharfen Gesellschaftskritik und seiner eindringlichen Warnung vor dem Krieg die Form einer vor Witz und Sarkasmus funkelnden Satire zu geben. Das Lachen – für das es fast auf jeder Seite einen Grund gibt – bleibt einem allerdings im Hals stecken. Eine erste Veröffentlichung des Stücks „Die letzten Tage der Menschheit“ erfolgte 1918/19 in Sonderheften der von Karl Kraus 1899 bis 1936 in Wien herausgegenenen Zeitschrift „Die Fackel“. Eine Buchausgabe erschien 1922. Zwei Jahre später wurde der Epilog erstmals aufgeführt, aber Karl Kraus hielt „Die letzten Tage der Menschheit“ für ein „Lesedrama“. Bis 1928 weigerte er sich, es als Theaterstück aufführen zu lassen. 1929/1930 arbeitete er dann selbst an einer Bühnenfassung. Der Suhrkamp Verlag – von dem es auch eine 847 Seiten dicke Version des Stücks „Die letzten Tage der Menschheit“ gibt – brachte 1992 die „Bühnenfassung des Autors“ heraus, auf die sich meine Inhaltsangabe bezieht. Historische Aufnahmen von „Die letzten Tage der Menschheit“:
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