Der unterschied zwischen scham und schuld

Scham kann bei Menschen positive Veränderungen im Denken und Handeln bewirken, die gut für das Zusammenleben sind. Das Negative: Wer übermäßig dazu neigt, Schuld und Scham zu empfinden, muss mitunter therapeutisch behandelt werden. Die dann krankhaft ausgebildeten negativen Emotionen Schuld und Scham gelten als wesentlich etwa bei Depressionen oder Sucht.

Scham sorgt dafür, dass wir uns an die "Regeln" halten

Kinder entwickeln erste Schamgefühle zwischen anderthalb und spätestens vier Jahren. Bei Jugendlichen können Schamgefühle verstärkt auftreten, wenn sie sehr darauf achten, wie sie von anderen, vor allem engen Freunden, bewertet werden.

Läuft das nicht so ab, wie sie das selber wünschen, schämen sie sich oder empfinden sogar Schuld. Zum Beispiel unter Gleichaltrigen, wenn sie in deren Augen etwas falsch gemacht haben. Im Grunde geht es darum, die Regeln der eigenen Gemeinschaft einzuhalten, um ein Teil von ihr bleiben zu können.

"Für das Individuum bedeutet es: Wenn es sich diesen Regeln unterordnet, dann kann es sicher sein, dass es Teil der Gruppe bleibt."

Bettina Schuhrke, Psychologin

Bettina Schuhrke ist Spezialistin für Körperscham. Sie hat untersucht, warum sowohl Kinder als auch Erwachsene solche Gefühle empfinden. Wenn beispielsweise eine Mutter sich nackt vor ihren Kindern zeigt und diese anschließend pikiert sind, kann dadurch das Schamgefühl bei der Erwachsenen ausgelöst werden und Folgen für deren weiteres Verhalten haben.

Scham kann sich auf unser Verhalten auswirken

In dem konkreten Fall ist die Mutter nach der geschilderten Situation vorsichtiger mit dem Thema Nacktheit umgegangen. Bettina Schuhrke hat auch herausgefunden, dass bei jungen Mädchen, die ausschließlich weibliche Geschwister haben, das Schamgefühl am geringsten ausgeprägt ist.

"Interessanterweise war die schamloseste Gruppe Mädchen, die nur Schwestern hatten."

Bettina Schuhrke, Psychologin

Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe hat das wissenschaftliche Symposium "Schuld und Scham" veranstaltet. Es fand am 8. und 9. November 2019 am Ruhr-Universitätsklinikum Bochum statt und beleuchtete verschiedene Sichtweisen auf die beiden Begriffe.

Bettina Schuhrke forscht und lehrt als Entwicklungspsychologin an der Evangelischen Hochschule in Darmstadt. Ihr Thema im Hörsaal: "Die Bedeutung und Entwicklung der Scham in Kindheit und Jugend".

Oftmals werden beide Begriffe im Austausch benutzt. Scham ist jedoch eine auf sich selbst bezogene Emotion, bei der man sich selbst als unwert, falsch und im schlimmsten Falle nicht lebenswert fühlt. Schuld ist dagegen auf andere bezogen. Man fühlt sich schuldig gegenüber einem Dritten, „ ich habe etwas falsches getan“. Schuldempfinden geht Hand in Hand mit Empathiefähigkeit. Man muss fühlen, was dem anderen getan wurde, um Schuld zu empfinden. Schuld ist im Gegensatz zu Scham tilgbar, da sie auf eine dritte Person bezogen ist. Schuld entsteht manchmal auch erst rückblickend. Vergangene Entscheidungen und Handlungen werden durch neue Erfahrungen, neue Möglichkeiten und Einsichten neu interpretiert und auf Grund der hinzugewonnenen Erfahrung als „schlecht“ interpretiert. Man hat den Bezug verloren zu seinem früheren Ich, das keine andere Handlungsalternativen gesehen hat.

Schuldfähigkeit entsteht lebensgeschichtlich relativ spät, erst mit der Pubertät und der Adoleszenz wird diese voll ausgeprägt. Davor weiß man nur, dass man Normen verletzt hat, die als Regeln wahr genommen werde.

Scham entsteht dagegen recht früh, ca. ab dem ca. dem 14 Monat. Davor ist dieser Affekt nicht zu beobachten. Im ersten Lebensjahr sind 90 % der Kommunikation mit dem Säugling positiv und unterstützend. Zwischen dem 11 – 17 Monat ändert sich dies grundlegend, Untersuchungen haben gezeigt, dass Eltern dann im Schnitt alle 9 min ein Verbot oder Tadel aussprechen.

Diese Veränderung geschieht, da das Kind sich nun ausprobiert, selbst in die Welt hinaus krabbelt und läuft und nun beschränkt werden muss, um sich nicht zu gefährden. Das Kind zeigt immer mehr Arten von Verhalten und davon werden einige Verhaltensweisen von anderen als unangemessen, unangenehm oder gefährlich angesehen.

​Plötzlich gibt es ein NEIN

Im zweiten Jahr erlebt das Kind plötzlich eine Veränderung im Verhalten der Mutter. Es erforscht und entdeckt selbständig seine Umgebung, dabei ist es aufgeregt und freudig. Wenn es etwas Neues entdeckt hat, z.B. dass man die Tischdecke vom Tisch ziehen kann, schaut es voller Stolz und Begeisterung zur Mutter in Erwartung der positiven Spiegelung, die es immer bekommen hat. Es erwartet, dass die Mutter eingestimmt ist auf die eigene Emotion und die eigene Freude und Aufregung spiegelt. Plötzlich sieht das Kind in ein Gesicht, das Missbilligung, Ärger oder im schlimmsten Falle Ekel oder Verachtung ausdrückt.

Die Mutter wird zur Fremden und es entsteht eine Unterbrechung der Bindung. Diese Emotionen der Mutter werden sehr stark visioaffektiv übermittelt, da sich bei Ekel oder Abneigung die Pupillen zusammenziehen.

Das Kind fällt in ein energetisches Loch und erfährt einen massiven Rückgang des inneren Hochgefühls. Es entsteht ein schneller Übergang zwischen einem Hyperarousal zu einem Hypoaraousal. Das Kind lässt den Kopf hängen, der Körper wird bewegungslos, Blickkontakt wird abgebrochen und das Kind beendet jede Tätigkeit. Es zieht sich in sich zurück und verliert das Interesse an seiner Umwelt.

Die Gesichtsausdrücke der Mutter werden vom Kind selbst als Mikroemotionen erfasst und es entsteht der Zustand der Scham, der mit einer hohen Erregung des Parasympathikus einhergeht. Diesen Zustand kann das Kind nicht alleine bewältigen und regulieren. Es ist hier von höchster Bedeutung, dass die Mutter dem Kind nach kürzester Zeit aus diesem Zustand wieder heraushilft.

Meist zeigt das Kind dann ein Suchen des Blickkontaktes und streckt die Arme aus, um wieder Kontakt zu bekommen. Durch eine Wiedereinstimmung der Dyade kann das Kind sich wieder regulieren und in einen angenehmen Erregungszustand zurückkehren.

​Scham fördert das Wachstum des Gehirns

Scham hat einen schlechten Ruf, sie ist aber notwendig für unsere Sozialisation. Die Rolle der Mutter wechselt im zweiten Jahr zur Sozialisationsagentin, um dem Kind beizubringen Affekte und Impulse zurückhalten zu können und unerwünschte Tätigkeiten und Verhalten nicht zu zeigen. Diese Art der Selbstregulation entsteht durch die Verinnerlichung von Scham und Beziehungsinteraktionen und ist absolut förderlich und gesund.

​Scham fühlt sich allerdings so verletzend für das Kind an, dass die Intensität und Dauer unbedingt begrenzt und reguliert werden muss. Scham ist zu toxisch für Kleinkinder, als dass sie es länger aushalten könnten. Das Kind kann diesen inneren Zustand nicht regulieren und braucht Hilfe.

Scham zerreißt die Verbindung zwischen Individuen. Das Kind wird in einen einsamen und in sich zurückgezogenen Zustand katapultiert und kommuniziert mit der Welt in einem mehr oder weniger großen Zustand der Hilflosigkeit und des Flehens.

Das Kind versucht die Bindung wiederherzustellen, indem es sich zur Mutter orientiert, zu ihr aufschaut und die Arme nach ihr ausstreckt. Es will gehalten und versichert werden. Dadurch kann das Kind sich wieder regulieren und aus dem Zustand des Hypoarousal kommen. Durch Wiederholung dieser Interaktionen lernt das Kind Erholungsmechanismen von Stress und den Glauben, dass man Stress überwinden kann. ​

​​​Wie toxische Scham entsteht

​​Wenn die Mutter das Kind weiter demütigt und ihm nicht hilft aus dem „Schamkollaps“ zu kommen, entsteht im Kind gleichzeitig zum Hypoaroausal ein Hyperarousal. ​Das Kind bleibt in vollkommen unregulierbaren Zuständen gefangen, was auf Dauer zu einer späteren Unterregulation von Aggression führt.

Diese Kreisläufe toxischer Scham durch Demütigung und Wut narzisstischer Mütter sind meist Begleitumstände von Kindesmisshandlung. Narzisstische Persönlichkeitsstörungen haben fast immer einen Hintergrund einer demütigenden und andauernden Exposition massiver Scham.

Wo Scham ist soll Schuld sein?

Seine Strategie, um die Macht des schlechten Gewissens zu brechen: "Wo Scham ist, soll Schuld sein." Damit meint der Psychologe natürlich nicht schuldhafte Handlungen, die einen zu Recht ein Leben lang belasten.

Was genau ist Scham?

Was ist Scham? Ein unangenehmes Gefühl, wenn man sich vor anderen Menschen in einer peinlichen Situation befindet. Das Schamspektrum ist breit: Das Gefühl kann von einer leichten Verlegenheit oder Fremdscham bis hin zu tiefer Demütigung oder Gesichtsverlust reichen.

Wie mit Schuld und Scham umgehen?

Deshalb gilt auch im Falle der Scham: Nimm das Gefühl an, wie es ist. Akzeptiere, dass du dich schämst. Es ist ein menschliches Gefühl und hat das Recht, wahrgenommen zu werden. Manchen Menschen hilft es, ihr Schamgefühl in einem Tagebucheintrag zu beschreiben oder mit vertrauten Mitmenschen darüber zu sprechen.

Was steckt hinter Scham?

Das Schamgefühl gehört zu den bei allen Menschen auftretenden Affekten. Auslöser für Schamgefühle können innerseelische Vorgänge sein, wie zum Beispiel der Eindruck von Peinlichkeit oder Verlegenheit, aber auch die Bloßstellung oder Beschämung durch andere Menschen in Form von Demütigungen oder Kränkungen.

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