Autoindustrie und regierung wer ist schuld

Die Automobilindustrie ist eine tragende Branche für die Wirtschaft Deutschlands. Die Autogipfel, eingerufen von der Kanzlerin, bestimmen über deren zukünftige Entwicklung mit. Gestern verkündete der Finanzminister Olaf Scholz das Ergebnis des sechsten Gipfels: Bis 2025 stellt die Bundesregierung eine Milliarde Euro für die Autoindustrie bereit, 410 Millionen Euro sollen in die Digitalisierung fließen.

Ein unabhängiges Gremium erarbeitete schon seit November 2020 detaillierte Vorschläge zu der umfassenden Transformation der Automobilbranche. Auf dem gestrigen Autogipfel verabschiedete Angela Merkel den Abschlussbericht der Expert:innen. Diese legen besonders viel Gewicht auf die Ausarbeitung von „digitalen Lösungen“, die das vernetzte und automatisierte Fahren voranbringen sollen. Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie betont in einer Pressemitteilung: „Die Digitalisierung der Automobilindustrie ist existenziell für deren Zukunft.“

„Konsequenter Klimaschutz für wirtschaftlichen Erfolg“

Ganz konkret unterstützt der Fond mit 120 Millionen Euro die Entwicklung von offenen Betriebssystemen und offenen Standards, um den Zugang zu automatisiertem Fahren zu erweitern. Dabei steht noch zur Debatte, wie der Zugang zu Fahrzeugdaten geregelt werden soll. Außerdem sollen weitere 120 Millionen in Entwicklungsmethoden für neue Software, die auch Künstliche Intelligenz beinhaltet, investiert werden. Weiteres Geld fließt in die Prüfung und Absicherung von autonomem Fahren (100 Mio. Euro). Diese Schwerpunkte sammeln sich gemeinsam unter dem Projekt „Zukunftsinitiative Digitalisierung“. Zusätzlich fördert die Bundesregierung mit 70 Millionen Euro Start-ups und die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften im Bereich der Digitalisierung der Autoindustrie. 

In den genannten Schwerpunkten sieht die Regierung das Potenzial für eine erfolgreiche und nachhaltige Transformation der Automobilindustrie. Die Bundesregierung äußert sich mit den Worten: „Es bestand Einigkeit, dass konsequenter Klimaschutz eine Voraussetzung für zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg ist“

Die bevorstehende Internationale Automobilausstellung (IAA) in München steht ebenfalls unter den Sternen einer „zukunftsorientierten Mobilität“, die den Klimaschutz mit neuen Technologien verbinden möchte. So gibt es dieses Jahr etwa eine „Sustainability Lounge“, in der Firmen wie LinkedIn über das Thema Nachhaltigkeit sprechen können.

#blockIAA: die Automobilindustrie in der Kritik 

Vielen umweltpolitischen- und zivilgesellschaftlichen Organisationen geht dieses Engagement nicht weit genug. Das Bündnis aus „Sand im Getriebe“ und weiteren Kooperationspartner:innen rufen mit dem #blockIAA zu Protestaktionen gegenüber der Automobilausstellung auf. In ihrem Statement fordern sie eine gerechte öffentliche Mobilität für alle und damit das Ende des Autozeitalters. Der globalisierungskritische Verein Attac schließt sich den IAA-Protesten in München an. Der ehrenamtliche Attac-Aktivist Hermann Mahler kritisiert gegenüber netzpolitik.org die einseitige Förderung der Automobilindustrie durch den Zukunftsfond. Er meint:

Verstopfte Strassen und Städte werden durch E-Autos nicht entlastet. Die Erwartungen an eine klimagerechte und sozialgerechte Mobilität können nur erfüllt werden, wenn der Sparkurs im öffentlichen Personenverkehr beendet wird. Hier muss massiv in die Erneuerung und den Ausbau von Infrastruktur und Personal investiert werden. Dies deutlich zu machen, wird auch unser Ziel bei den IAA-Protesten in München sein.

Der Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer forderte in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk eine finanzielle Investition in die Verkehrswende – und damit in die Schiene. Laut Krischer ist der milliardenschwere Zukunftsfonds aus Steuergeldern nur nötig, da der Regierung in der Vergangenheit Fehler in der Autobranche passiert seien – etwa der lange Glaube an den Dieselmotor. 

In vielen deutschen Städten werden die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxide überschritten. Die Bundesregierung macht dafür die Autohersteller verantwortlich: Würden ihre Dieselautos die Grenzwerte tatsächlich einhalten, wäre die Luft viel besser.

Von Holger Dambeck

03.10.2015, 10.13 Uhr

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Autoindustrie und regierung wer ist schuld

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Autoauspuff: "Emissionen der Dieselautos deutlich höher als erwartet"

Foto: Michael Probst/ ASSOCIATED PRESS

Seit dem 1. Januar 2010 gilt für Städte in Deutschland ein strenger Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2). In einem Kubikmeter Luft dürfen im Mittel nicht mehr als 40 Mikrogramm NO2 sein. Ansonsten drohen unter anderem Reizungen der Atemwege und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Doch die Realität sieht anders aus. Im Jahr 2013 beispielsweise wurde das NO2-Limit an 29 Messstationen bundesweit nicht eingehalten - unter anderem in Stuttgart, München und Köln. Die Bundesregierung führt die Grenzwertüberschreitungen in Ballungsgebieten "wesentlich" auf Diesel-Pkw zurück, die im realen Betrieb auf der Straße deutlich mehr Stickoxide ausstoßen als auf dem Prüfstand. Dies teilte sie auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Bärbel Höhn (Die Grünen) mit.

Die Emissionen der Dieselautos lägen "deutlich höher, als mit der kontinuierlichen Fortschreibung der Abgasgrenzwerte auf Ebene der EU erwartet worden war". Zudem habe die Zahl der Diesel-Pkw in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. "Daher konnten die ergriffenen Maßnahmen bisher nicht sicherstellen, dass NO2-Grenzwerte flächendeckend eingehalten werden", heißt es in der vom Bundesumweltministerium verfassten Antwort.

"Von den erhöhten Stickoxid-Werten dürften mehrere Millionen Menschen hier im Land betroffen sein", sagte Bärbel Höhn, Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag. Besonders die Anwohner an großen innerstädtischen Straßen und Asthmatiker zahlten die Zeche dafür, dass die Bundesregierung jahrelang bei den Betrügereien der Autohersteller weggeschaut habe.

Womöglich müssen wegen des VW-Abgasskandals auch Modellrechnungen für die künftige Schadstoffentwicklung in Deutschland überarbeitet werden. Das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) hatte beispielsweise prognostiziert, dass durch die Einführung schadstoffarmer Fahrzeuge wie etwa laut Euro-6-Norm der Stickoxidausstoß des Straßenverkehrs im Jahr 2030 um 68 Prozent niedriger sein könnte als 2011.

Stickstoffdioxid, das zu den Stickoxiden zählt, entsteht bei Verbrennungsprozessen. Wichtigste Emittenten in deutschen Gemeinden sind Autos mit Dieselmotor. Die höchsten Konzentrationen wurden im Jahr 2013 in Stuttgart (Am Neckartor) und München (Landshuter Allee) gemessen - unter den Top 15 sind auch Messstationen in Berlin (Hardenbergplatz), Hamburg (Max-Brauer-Allee) und Köln (Clevischer Ring). Überall dort waren die NO2-Werte deutlich oberhalb des gesetzlichen Limits von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter.