Wovon wir reden wenn wir von liebe reden pdf

Es gibt hin und wieder Augenblicke, in denen ich auf meine Beziehungen zurückblicke und mich frage, ob ich meine Ex-Freundinnen geliebt habe. Ich meine, wirklich geliebt. Ob ich ein Gefühl gespürt habe, wie ich es erwartet habe. Ein Gefühl, wie es eigentlich hätte sein sollen. Am letzten Montag gab es einige solcher Augenblicke.

Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch hat in seinen Tagebüchern einen Fragebogen mit 25 Fragen aufgestellt, die inzwischen weltberühmt sind. Eine dieser Fragen lautet: „Lieben Sie jemanden? Und falls ja, woraus schließen Sie das?“ Tja, das ist eine sehr gute Frage. Die Fragen danach, wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden. Eine Frage, die sich wohl jeder einmal stellen sollte.

Beispielsweise Christian, der Freund von Jasmin. Vor einigen Tagen habe ich mich mit Jasmin getroffen. Sie wirkte ganz verstört, schon als wir uns begrüßten. „Alles okay?“, fragte ich.

„Na ja, nicht wirklich“, sagte sie. „Ich hatte vorhin eine Meinungsverschiedenheit mit meinem Freund.“

„Ach?“, sagte ich.

„Er meinte: Fremdgehen kann passieren, das liegt nun mal in der Natur des Menschen“, sagte Jasmin. „Sex hätte nichts mit Liebe zu tun. Das machen doch alle.“

„Ach?“, sagte ich noch einmal und spürte, wie sich meine Züge verhärteten.

„Er hat gesagt, er wäre in seiner letzten Beziehung ja auch betrogen worden, also kann er auch betrügen“, sagte sie.

„Okay“, sagte ich gedehnt. „Und wie seid ihr auseinandergegangen?“

„Er hat gesagt: Du hast deine Meinung, und ich hab meine, machen wir das Beste draus“, sagte Jasmin mit Tränen in den Augen.

Ich warf ihr einen fassungslosen Blick zu. Noch vor einem Monat, als sich Jasmin von ihm trennen wollte, hatte Christian schließlich um sie gekämpft. Er hatte ihr seine Liebe beteuert, täglich mindestens dreißig Nachrichten auf ihrer Mailbox hinterlassen, er hatte gebettelt. Sie wäre schließlich die Liebe seines Lebens. Ein Gefühl, das nur einen Monat darauf auf den Satz: „Du hast deine Meinung, und ich hab meine, machen wir das Beste draus“ zusammengeschrumpft war.

Christian empfand natürlich keine Liebe, als er um sie kämpfte, und das sagte ich ihr auch. Seine „Liebe“ war ein Ego-Trip. Er pflegte eine „Liebe“, in der es nie um Jasmin ging, sondern ausschließlich um ihn selbst. Er war auf ihre Gefühle angewiesen, um sich selbst zu bestätigen. Es hatte nie etwas mit ihr zu tun.

Christian ist in seiner Empathielosigkeit natürlich ein drastisches Beispiel, ein Prototyp, aber im Ansatz geht es ihm wie den meisten. Sie lieben wie er. Sie pflegen eine narzisstische Liebe.

„So gesehen sind die meisten so“, sagte Till lachend, als ich ihm einige Tage darauf in der Goldfischbar von dieser Begebenheit erzählte. Till hat Betriebswirtschaftslehre und Philosophie studiert, eine originelle Kombination, die ihm einen aufschlussreichen Blick auf die Dinge ermöglicht.

„Das ist natürlich gesellschaftlich bedingt“, sagte er. „Wir sind nun mal Konsumenten in einer Konsumgesellschaft. Wir leben in einer Bedarfsweckungsgesellschaft. Wir brauchen kein Telefon, wir brauchen das neueste iPhone. Der Kauf von Produkten schenkt uns einen kurzen Moment Befriedigung, einen kurzen Moment Glück sozusagen. Aber das ist nun mal kein nachhaltiges Gefühl, darum müssen wir immer weitere Produkte kaufen. Wir müssen permanent unzufrieden mit uns selbst sein, damit das System funktioniert. Leider wenden wir das auch im zwischenmenschlichen Bereich an.“

„Im zwischenmenschlichen Bereich?“, fragte ich. „Inwiefern?

„Es ist das Gefühl, sich selbst nicht glücklich machen zu können, dass andere Dinge oder Menschen für die eigenen Gefühle verantwortlich sind – ob es nun das neueste iPhone ist, oder ein Mensch, der etwas für einen empfindet. Es schmeichelt unserer Eitelkeit, nicht mehr. Letztlich haben wir verlernt, uns selbst zu lieben. Wir verwechseln Selbstliebe mit Narzissmus.“

Ich dachte an Erich Fromm, für den die Fähigkeit, sich selbst zu lieben die Voraussetzung dafür war, überhaupt jemand anderen lieben zu können. Tja, dachte ich, aber wer liebt sich schon selbst? Ich kenne niemanden. Wir leben nun mal in einer narzisstischen Gesellschaft, und Narzissmus ist ein Zeichen von Unsicherheit, ein überhöhtes Selbstbild, in dem alle Schwächen ausgeblendet werden. Man projiziert ein Bild auf den anderen, und verliebt sich letztendlich in eine Illusion, die perfekt zu einem passt, die mit dem Menschen aber selbst nichts zu tun hat. Man will sich in sich selbst verlieben, in das Bild, das man von sich hat, wie man sich selbst sehen möchte.

„Narzisstische Verliebtheit ist einfach mal nichts anderes als der verzweifelte Versuch, sich selbst zu lieben“, sagte Till.

Wenn man es mal aus dieser Perspektive betrachtet, ist es schon sehr aufschlussreich zu sehen, warum wir uns überhaupt verlieben. Inwieweit unsere Gefühle etwas mit dem anderen zu tun haben. Wir verlieben uns in die Schnittmengen, den Gemeinsamkeiten zweier Leben, darum wird auf Dates auch so krampfhaft nach Gemeinsamkeiten gesucht. Darum gleichen sich Dates so sehr. Man verliebt sich ja nicht in einen Menschen, man verliebt sich in den Teil eines Menschen, der einem selbst ähnelt. Der in Ansätzen, Haltungen und Wünschen ein Ebenbild zu sein scheint.

Puh, dachte ich. Vielleicht ist es ein Fehler, zu sehr über die Dinge nachzudenken. Ich blickte zu Till, der gerade an seinem Drink nippte, und spürte, dass das gerade einer dieser Momente war, in denen ich auf meine Beziehungen zurückblickte und mich fragte, ob ich je geliebt habe.

„Ich habe immer nur Talent für Dinge, die mich interessieren.“ Das hat Karl Lagerfeld einmal gesagt, und das ist ein sehr wahrer Satz. Eine der Überschriften über meinem Leben sozusagen. Lagerfeld bezieht sich natürlich auf seine Arbeit, aber wirklich interessant wird es, wenn man diesen Satz auf das Zwischenmenschliche anwendet. Auf die Frauen, mit denen ich zusammen war. Nach dem Gespräch mit Till war ich mir nämlich nicht mehr so sicher, ob ich wirklich Talent für meine Ex-Freundinnen hatte. Vielleicht war ich rückblickend gesehen einfach zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um Talent für sie haben zu können. Oder drastischer formuliert: Vielleicht war ich zu wenig an ihnen interessiert, um mich wirklich auf sie einzulassen.

Auf Max Frischs Frage „Lieben Sie jemand? Und woraus schließen Sie das?“ hat der Schriftsteller Jonathan Franzen gesagt: „Mein Herz sagt es mir, und mein gesunkenes Maß an Selbstsucht liefert verlässliche Beweise dafür.“ Besser kann man es wohl nicht formulieren.

Obwohl meine letzte Beziehung in die Brüche gegangen ist, habe ich in ihr viel über mich herausgefunden. Meine Freundin war der Spiegel, der mich Dinge erkennen ließ, die ich mir nicht eingestanden habe. Durch sie änderte sich die Perspektive. Ich entdeckte mich sozusagen noch einmal neu, mit einem frischen Blick. Ich sah neue Vorzüge, und ich sah meine Fehler. Ich begriff, dass es noch einiges zu tun gab.

Ich glaube, dass die Liebe zu jemandem in einem den tiefen Impuls auslöst, ein besserer Mensch zu werden. Für den anderen und für sich selbst. Und das haben meine Ex-Freundinnen tatsächlich in mir ausgelöst. Nicht permanent, aber immer mal wieder. Sie lösten in mir den Wunsch aus, die Selbstsucht zu überwinden. Ein besserer Mensch zu sein.

Und das ist die wunderbare Möglichkeit, die uns die Liebe gibt. Ein besserer Mensch sein zu wollen.

Wir sollten sie nutzen.

Fun Fact: Michael Nasts neues Buch Generation Beziehungsunfähig ist endlich draußen, da findet ihr noch mehr zu diesem Text. Den ersten steilen Schinken gibt es schon etwas länger auf dem Markt.

Headerfoto: Julia Shashkina via Creative Commons Lizenz! (“Gedankenspiel”-Button hinzugefügt.) Danke dafür!