Warum erwachsene Kinder den Kontakt zu den Eltern abbrechen?

Antje liebt es, in der Natur zu sein. Oft spaziert sie über die Felder in der Nähe ihres Wohnortes. Bild: Marcus Kaufhold

Wenn erwachsene Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen, haben sie zuvor jahrelang gelitten. Sich loszusagen, tut weh – aber für manche ist es der einzige Ausweg. Zwei Frauen erzählen, warum es sie befreit hat.

„Papa, ich wünsche mir, dass du meinen Berufswunsch akzeptierst. Papa, ich will nicht ständig Ratschläge von dir. Papa, ich möchte mit dir wandern gehen.“ Vor zehn Jahren schrieb Antje ihrem Vater einen Brief. Antje, damals 49 Jahre alt, schrieb all das auf, was sie ihrem Vater nicht geschafft hatte zu sagen. Als sie den Brief in ein Kuvert steckte, fühlte sie sich erleichtert. Und angespannt. Wie würde der Vater wohl reagieren? Für Antje stand fest: Es ist ihr letzter Versuch, sich ihm zu nähern.

Warum erwachsene Kinder den Kontakt zu den Eltern abbrechen?

Mit der Geburt tritt ein Mensch in Beziehung zu seinen Eltern. Familie ist die auf Dauer angelegte Gemeinschaft von mindestens zwei Generationen, sagt die Soziologie. Familie ist ein Ort der Liebe und Geborgenheit, finden die meisten Deutschen. Familie ist ein mit Idealen überhäuftes Gebilde, legen Ratgeber nahe und Postkarten mit Sprüchen wie „Familie ist, wo Leben beginnt und die Liebe niemals endet“. Egal, was passiert, das Band zwischen Kind und Eltern soll niemals reißen. Von Freunden, Liebhabern, Ehepartnern trennt man sich. Aber von Mama und Papa?

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Gründe verstehen, richtig reagieren

Was Eltern tun können, wenn ihre Kinder den Kontakt abbrechen

Es kommt extrem selten vor, aber manchmal brechen Kinder im Erwachsenenalter den Kontakt zu ihren Eltern rigoros ab. Wie kommt es soweit? Welche Warnsignale gibt es und wie können Eltern damit umgehen, dass ihr Kind sich von ihnen distanziert? Wir haben bei Prof Dr. Beate Schwarz, Expertin für Entwicklungs- und Familienpsychologie, nachgefragt.

Photo Taken In Born, Germany

Manche Kinder entscheiden sich im Erwachsenenalter, sich von ihren Eltern abzuwenden. Dahinter steckt ein Leidensweg.

Getty Images/EyeEm Premium

Beate Schwarz, wie häufig kommt es vor, dass Kinder im Erwachsenenalter den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen?
Es gibt extrem wenig Forschung zu diesem Phänomen. Wahrscheinlich, weil es wirklich selten vorkommt. Ein paar wenige Forschungsarbeiten befassen sich damit, indem sie Menschen, die einen Kontaktabbruch erlebt haben, nach den Gründen befragen oder aber therapeutische Berichte auswerten. Das ist die dürftige empirische Basis.
 
Können dennoch gewisse Gründe für einen Kontaktabbruch seitens der Kinder festgestellt werden?

Subjektiv empfunden sind es immer schwerwiegende Gründe und oft steckt eine lange Geschichte dahinter. Wenn Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen, ist das keine spontane oder kurzfristige Entscheidung. Ein wichtiger Auslöser sind Missbrauchserfahrungen oder schwerwiegende emotionales Fehlverhalten durch die Eltern.

  Was müssen wir uns unter emotionalem Fehlverhalten vorstellen?
Verschiedene Arten von Verhaltensweisen der Eltern, die von den Kindern als extrem unangemessen erfahren werden. Wenn die Eltern schon in der Kindheit extrem streng und kontrollierend waren und das dann im Erwachsenenalter weiterziehen. Oder wenn die Kinder für alles zum Sündenbock gemacht werden und keinerlei emotionale Nähe erfahren. Oder wenn die Kinder den Eindruck haben, dass sie nur für das Wohlergehen der Eltern zu sorgen haben. Dann gibt es weitere Gründe, die nicht zu emotionalem Fehlverhalten gezählt werden, aber häufig vorkommen. Der ganze Bereich von Vertrauensmissbrauch oder dem Gefühl, verraten worden zu sein, etwa, wenn nach Jahren ein Familiengeheimnis ans Tageslicht kommt.

«Dem Kontaktabbruch geht fast immer eine sehr lange Geschichte von Enttäuschungen und Gesprächsversuchen voran.»

Prof. Dr. Beate Schwarz

Wenn sich ein solches Ereignis über die Jahre ankündigt, warum sind Eltern dennoch überrascht, wenn ein Kind den Kontakt zu ihnen abbricht?
Tatsächlich können sich Eltern, die einen Kontaktabbruch erleben, diesen häufig nicht erklären. Überrascht sind sie wohl, weil das nichts ist, womit man allgemein rechnet. Es kommt ja wirklich äusserst selten vor. Zwar gibt es viele schlechte oder schwierige Eltern-Kind-Beziehungen, aber zum kompletten Bruch kommt es in extrem wenigen Fällen.

  Gibt es Warnsignale, auf die die Eltern achten könnten?
Von den erwachsenen Kindern, die nach dem Kontaktabbruch befragt wurden, haben viele erklärt, dass sie über einen langen Zeitraum Signale gesendet haben: das Gespräch gesucht oder angedeutet, dass sie unter gewissen Umständen leiden. Dass sie jedoch auch das Gefühl gehabt hätten, nicht wahrgenommen zu werden. Dem Kontaktabbruch geht fast immer eine sehr lange Geschichte von Enttäuschungen und Gesprächsversuchen voran. Die Warnzeichen können sehr individuell sein. Werden sie nicht wahrgenommen, ist der Kontaktabbruch das letzte Mittel.

«Es wird ja relativ viel an Selbstreflexion und Eingeständnis von eigenen Fehlern verlangt.»

Prof. Dr. Beate Schwarz

Wie reagieren Eltern richtig, wenn es zum Kontaktabbruch kommt?
Bricht ein Kind den Kontakt ab, ist die Chance erst einmal vertan, ein Gespräch zu führen. Eltern befinden sich in einer heiklen Situation. Jeder Versuch, das Kind zu kontaktieren, könne erneut so interpretiert werden, dass die Eltern die Grenzen des Kindes nicht respektieren.

  Also bleibt nur die Akzeptanz?
Im ersten Moment sind Eltern tatsächlich relativ machtlos. Was sie tun können, ist, ihren Anteil an der Sache anzuerkennen. Wenn man das Leid des Kindes anerkennt und bereit ist, an sich zu arbeiten, ist vielleicht eine Annäherung möglich.

  In wie vielen Fällen ist der Kontaktabbruch nur vorübergehend?
Auch da gibt es keine genauen Zahlen. In den Studien zeichnet sich jedoch ab, dass es eher ein vorübergehender Status ist. Die Eltern-Kind Beziehung hat eine grosse normative Kraft. Auf einen Kontaktabbruch kann zu einem späteren Zeitpunkt ein Annäherungsversuch folgen. Hat es in der Zwischenzeit keinerlei Weiterentwicklung auf der Elternseite gegeben, kann es jedoch sein, dass es erneut zum Abbruch kommt.

  Was können Eltern in der Zwischenzeit ganz konkret tun?
Viele Kinder lassen den Kontaktabbruch therapeutisch begleiten. Bei den Eltern ist es sehr empfehlenswert, dass sie sich ebenfalls professionelle Hilfe holen. Es wird ja relativ viel an Selbstreflexion und Eingeständnis von eigenen Fehlern verlangt. Wenn alles beim Alten bleibt, wird es langfristig kaum einen Weg zurück geben.

Mehr zum Thema

Unter folgenden Links haben wir für euch weitere Artikel zu Problemen in der Eltern-Kind-Beziehung zusammengefasst:

Von KMY am 5. Juli 2022 - 17:37 Uhr

Wann sollte man den Kontakt zu den Eltern abbrechen?

Generell gilt: Ziehen Sie immer einen Schlussstrich, wenn es Ihnen nicht gut geht. Fühlen Sie sich ohnmächtig und schaffen es nicht, mit den Mitteln, die Ihnen zur Verfügung stehen, die Beziehung zu Ihren Eltern zu verbessern, ist ein Kontaktabbruch zu erwägen.

Was tun wenn das eigene Kind den Kontakt abbricht?

Wie sollten Eltern reagieren, wenn das Kind den Kontakt abbricht? Eltern sollten aufhören zu glauben, dass sie alles richtig gemacht haben, weil das gar nicht möglich ist. Sie sollten sich klar werden, dass Kinder Individuen sind, die man persönlich respektieren lernen muss.

Warum brechen Tochter den Kontakt zur Mutter ab?

Dabei gibt es unterschiedliche Auslöser: Die einen empfinden ihre Eltern eher als kalt und distanziert. Dabei steht vor allem die Beziehung zur Mutter im Vordergrund. In diesen Familien gibt es meistens keine Wärme, es wird nicht gekuschelt und es dominieren Druck und Stress.

Warum melden sich erwachsene Kinder nicht mehr?

Wieso meldet sich mein Kind so wenig? Fragen, Erwartungen und Vorwürfe, aber auch Angst oder Wut stehen einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung im Weg. Häufig verstünden Eltern die Entwicklung ihres Kindes nicht oder falsch, meint Paarberater Sascha Schmidt.