Hat ein ganzes halbes Jahr ein Happy End?

Eine schwierige Thematik, die sich nicht mit "richtig" oder "falsch" abhaken lässt

Dieses Buch löst definitiv etwas aus. Am Ende habe ich sogar Rotz und Wasser geheult.

Jedoch eher widerwillig und nur neugierig aufgrund zahlreicher positiver Kritiken, habe ich angefangen, es zu lesen. Widerwillig, weil mich das Cover und die Beschreibung auf dem Buchrücken auf einen kitschigen Liebesroman haben schließen lassen. Die eigentliche Problematik wird dort ein wenig verschleiert. Denn in Ein ganzes halbes Jahr geht es um so viel mehr.

Die Abbildung auf dem Buchdeckel zeigt eine Frau, die eine Taube davon fliegen lässt. Ein Symbol für Loslassen und den inneren Frieden finden. Zwei der Hauptthemen des Romans. Und es geht um Sterbehilfe.

Louisa Clark bewirbt sich ohne große Erfolgsaussichten als Pflegekraft von Will Traynor. Die Überraschung ist groß, als sie die Stelle tatsächlich bekommt, obwohl sie keinerlei Erfahrung im Umgang mit Behinderten hat. Und wieso ist ihr Job auf sechs Monate befristet? Als Louisa die Gründe erfährt, ist sie zunächst schockiert.

Jojo Moyes beschäftigt sich mit einem heiklen und sensiblen Thema, das sich nicht einseitig betrachten lässt. Ihr Roman schreibt nicht direkt eine Meinung vor und so ziemlich alle Ansichten zum Thema "Sterbehilfe" werden, ohne bewertet oder verurteilt zu werden, vorgestellt, wenngleich der Roman schon eine gewisse Richtung einschlägt. Das musste aber zwangsläufig geschehen, da Jojo Moyes mit Ein ganzes halbes Jahr um Verständnis und Toleranz für Menschen, die Sterbehilfe beanspruchen wollen, werben möchte.

Ein ganzes halbes Jahr hat mich ernsthaft zum Nachdenken gebracht und ich denke, dass man möglicherweise erst eine klare Meinung zu dem Thema haben kann, wenn man selbst Erfahrungen in diesem Bereich hat. Manche Dinge kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Bleibt nur zu hoffen, dass man nie in eine solche Lage kommt und vor eine so schwerwiegende Entscheidung gestellt wird.

Der Roman zeigt auch, dass sich ein jedermanns Leben binnen Sekunden für immer verändern und man selbst zum Betroffenen werden kann. Es ist ein wichtiges Thema, das jeden etwas angeht und mit dem sich jeder auseinandersetzen sollte. Bei der Vermarktung des Buches finde ich es jedoch misslungen, dass man quasi ohne Vorwarnung mit diesem Thema konfrontiert wird, weil, wie gesagt, in der Beschreibung nichts Genaues erläutert wird.

Das Buch hat mich sehr mitgenommen und berührt. Wills Schicksal und seine Beweggründe sind mir sehr nahe gegangen. Er ist ein Mann, der nicht mehr nur auf seine Behinderung reduziert werden will. Anhand einer einzigen Romanfigur bekommen unzählige Menschen, ob behindert oder krank, Menschen, die aufgrund der tagtäglich auszuhaltenden Frustration, Demütigung, Verzweiflung, Abhängigkeit, Eingeschränktheit, den Schwierigkeiten und der dadurch entstehenden Abneigung ihrem Dasein gegenüber, Sterbehilfe beanspruchen wollen, eine Stimme.
Ab wann ist ein Leben menschenunwürdig? Das hängt ganz von der Einstellung dessen ab, der es zu leben hat, wie Ein ganzes halbes Jahr eindrücklich zeigt.

Eingebettet in eine emotionale Liebesgeschichte zwischen zwei vielschichtigen Charakteren wird die eher beklemmende Hauptthematik für alle zugänglich und durch den teils lockeren und komischen Unterton schmackhaft für die Masse gemacht.

Beide Protagonisten verändern sich unter der Einwirkung des jeweils anderen. Will, bevor er Lou kennt: Bitter und depressiv. Lou, bevor sie Will kennt: Unsicher und unentschlossen, was sie mit ihrem Leben anfangen will. Will möchte, dass Lou lernt, ihr Leben in vollen Zügen auszukosten und Lou möchte Will mit allen Mitteln von seinem eisernen Entschluss abbringen. Beide durchleben im Laufe des Romans eine große Wandlung.

Lou und Will nähern sich leise, langsam, fast unbemerkt aneinander an. In Ein ganzes halbes Jahr geht es auch um wachsendes Vertrauen, sich aufbauende Freundschaft und aufkeimende Liebe. Das Buch hat aber noch viele andere inhaltliche Aspekte zu bieten, die es zu entdecken gilt.

Der Autorin ist es wirklich gelungen, einen ergreifenden und einfühlsamen Unterhaltungsroman über ein ernstes Thema zu verfassen, der einige sehr schöne Momente, die man nicht so schnell vergisst, beinhaltet.

Aber ich habe auch einige negative Aspekte zu bemängeln:
1. Die Ideen der Autorin wirken manchmal gezwungen sorglos und aufgesetzt witzig, so als würde sie zwanghaft versuchen, dem neu entdeckten Genre (Krankheit/Behinderung/Tod plus Lebensbejahung/Liebe/Freundschaft) mit allen Mitteln gerecht zu werden, weshalb es auf mich teilweise nicht ganz so echt wirkt.
2. Die Nebengeschichten sind größtenteils klischeehaft und typisch und die Hauptthematik geht unter den ganzen Nebenthemen fast unter.
3. Wie schon bei Ziemlich beste Freunde ärgert es mich hier, dass Will reich und wohlhabend ist. Wann gibt es endlich die Geschichte eines nicht reichen Behinderten, der nicht alle (geldlichen) Mittel der Welt hat?

Fazit: Ein ganzes halbes Jahr ist kein perfekter Roman, der aber dennoch das Potenzial hat, etwas zu bewegen und ich hoffe, das wird er.

"Deshalb glaube ich, dass du die falsche Frage stellst. Wer sind die NBs*, dass sie entscheiden wollen, wie wir leben? Wenn das jetzt das falsche Leben für deinen Freund ist, sollte dann die Frage nicht lauten: Wie kann ich ihm helfen, es zu beenden?"

*Nichtbehinderte

Wie ist das Ende von ein ganzes halbes Jahr?

In der letzten Szene sitzt Louisa in einem Café in Paris und liest Wills Abschiedsbrief. Er hat ihr die Reise und einen gewissen finanziellen Betrag hinterlassen, damit sie ihre Zukunft neu gestalten kann. Obwohl er nun weg ist, hat er ihr Leben nachhaltig beeinflusst und bleibt am Ende für immer ein Teil von Lou.

Wie stirbt Will Traynor?

Dazwischen passiert aber so Einiges: Will Traynor (Sam Claflin) wird von einem Auto erfasst. Er überlebt mit einer Tetraplegie, kann nur seinen Kopf und zwei Finger bewegen. Seine Eltern wollen ihm Lebensfreude zurückgeben, um jeden Preis.

Ist die Geschichte ein ganzes halbes Jahr eine wahre?

Die Geschichte beruht auf dem wahren Fall von Philippe Pozo di Borgo. Di Borgos Buch über seine Freundschaft mit seinem Pfleger stand lange auch in deutschen Bestsellerlisten.

Ist ein ganzes halbes Jahr traurig?

Der gleichnamige Roman von Jojo Moyes verkaufte sich weltweit fünf Millionen Mal, davon zwei Millionen allein in Deutschland. Eine traurige Geschichte über unerfüllte Liebe und Sterbehilfe, die auf der Leinwand aber gar nicht ihre ganze Kraft entfalten kann.