Was trägt man in Österreich im Gefängnis?

Gut tausend österreischische Firmen lassen zu Billigstlöhnen im Gefängnis produzieren. Der Staat verdient Millionen daran.

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Fotografie:

Martin Valentin Fuchs

DATUM Ausgabe Mai 2017

Benedikt steht in Jogginghose und T-Shirt in einem Lagerraum, bis an die Decke sind Bierkisten gestapelt. Seit drei Jahren verrichtet der Mittzwanziger hier die immergleiche Arbeit: Händisch montiert er Bügelverschlüsse auf Bierflaschen. In weniger als vier Sekunden drückt er den Drahtbügel mit zwei Fingern in die Einkerbungen am Flaschenhals. Eine Million solcher Flaschen gehen jährlich durch Benedikts Hände und die seiner Kollegen. Am Ende landen sie als Wieselburger Stammbräu im Supermarkt. Benedikt verdient damit 1,40 Euro in der Stunde und arbeitet in Stein, Österreichs zweitgrößtem Gefängnis.

In einem Altbau am Rande des Wienerwalds schiebt Silvia ihren Aktenwagen von Zimmer zu Zimmer. Die Fünfzigjährige ist für die Verteilung der Post am Bezirksgericht Wien-Döbling zuständig. Wenn sie zu spät zur Arbeit kommt, wählt ihr Chef Patrick Obermoser die Nummer der Justizanstalt Favoriten und fragt: ›Wo bleibt die Freigängerin?‹ Freigänger sind Häftlinge im gelockerten Vollzug, die kurz vor ihrer Entlassung stehen. Noch arbeitet Silvia für einen Stundenlohn nicht höher als zwei Euro.

Hannes kam sich ›wie ein Roboter‹ bei der Arbeit vor. Seine Aufgabe bestand darin, Schnittkanten von Rohren abzuschleifen, die später in Motorräder und Rennsport­autos eingebaut wurden. Auftraggeber: die österreichische Firma Remus, Weltmarktführer bei Sportauspuffanlagen. Der 32-Jährige, der wegen schweren Raubes zu neun Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt wurde, hat nie einen Arbeitsvertrag gesehen.

Benedikt, Silvia und Hannes haben zwei Dinge gemeinsam. Erstens sind sie drei von gut 8.600 Menschen, die derzeit in Österreich eine Gefängnisstrafe absitzen. Zweitens arbeiten sie für Billiglöhne. Zwischen 1,40 und 1,90 Euro pro Stunde verdienen solche Häftlinge. Ihnen fehlen die Bedingungen, die für Arbeitnehmer in Freiheit selbstverständlich sind: Mindestlohn, Anspruch auf Krankenstand, Pensionsversicherung und eigene Gewerkschaft. Hinter Gittern ist eine Unternehmenswelt mit eigenen Gesetzen gewachsen, deren Arbeitsalltag von der Welt in Freiheit abgeschirmt ist.

Was beide Welten verbindet, sind die oft unscheinbaren Produkte unseres Alltags: Zeitungsboxen bei der U-Bahn, Kleiderhaken in der Umkleidekabine, ein kühles Feierabendbier und Werbesendungen im Briefkasten. Schminksets, Silvestersouvenirs oder gar Bauteile für Drohnen. Wer verstehen will, wie Gefangenenarbeit im 21. Jahrhundert funktioniert, muss sich einen dieser Gegenstände aussuchen und den Weg seiner Produktion zurückverfolgen.

Etwa einen Farbstift der Kindermarke Jolly. Diese Stifte, erzählen Häftlinge im Briefwechsel, werden von Gefangenen nach Farben sortiert, bevor sie bei Libro, Pagro und anderen Schreibwarengeschäften landen. Das Unternehmen hinter der Marke bestätigt derlei Aufträge, will sich aber nicht dazu äußern. Jolly ist Teil eines Systems, das tausend weitere österreichische Firmen umfasst. Hinter jedem dieser Aufträge steht dieselbe Frage: Warum arbeiten Häftlinge unter schlechteren Bedingungen als Arbeitnehmer in Freiheit? Darf die Privatwirtschaft eine solche Grauzone aus wirtschaftlichen Gründen nutzen, ohne ihren Kunden offenzulegen, wer da verpackt, sortiert oder zusammengeschraubt hat? Und darf die Justiz, darf der Staat daran verdienen? Denn das tut er, dutzende Millionen Euro jedes Jahr. Wer diesen Fragen nachgeht, stößt immer wieder auf Barrieren: Firmen, die kein Statement abgeben, Gefangene, die keine Interviews geben dürfen, Betriebswerkstätten, deren Türen geschlossen bleiben, und Politiker, die sich an dem Thema nicht die Finger verbrennen wollen. Er trifft aber auch auf Gefangene, die erzählen, dass es besser sei, für Billiglöhne zu arbeiten, als den ganzen Tag in der Zelle zu sitzen. Beamte, die für Insassen neue Aufträge an Land ziehen. Und Häftlinge, die von Ausbeutung sprechen und aus Protest in den Hungerstreik treten.

Ein warmer Freitagnachmittag am Grazer Hauptbahnhof. Hannes trägt ein Tanktop, die bleichen, trainierten Oberarme freigelegt. Der 32-Jährige hat noch eine Stunde Zeit, bevor er zur Therapie muss. Sieben Jahre lang hat er Heroin konsumiert und das ›Gift‹ irgendwann auch selbst verkauft. Nach seiner Verurteilung wurde er in die Justizanstalt Graz-Karlau überstellt. Seine Beziehung ging in die Brüche, dann starb die Großmutter, die Hannes sehr nahegestanden war. Er konnte nicht einmal bei ihrem Begräbnis dabei sein. Inzwischen ist er in einer Außenstelle der Justizanstalt untergebracht und hat regelmäßig Freigang. An den schlechten Arbeitsbedingungen ändert das nichts. Hannes findet es eine ›Frechheit‹, dass Firmen wie Remus Produkte, die er mitproduziert hat, teuer verkaufen, während er sich mit ›den paar Cent‹ zufriedengeben müsse. Einmal sei er für einen Justizwachebeamten tagelang im Betrieb gestanden, der ihn für einen privaten Auftrag engagiert hatte. Ein ›wunderschönes Geländer‹ aus Chromstahl sei es geworden, ›draußen kostet so was sicher ein paar tausend Euro‹. Als Dank bekam er ›nur ein Stück Osterfleisch und zwei Packungen Zigaretten‹. Hannes ist gelernter Metallbearbeitungstechniker und hat Freude an der Arbeit. Aber der Lohn sei ›einfach nicht korrekt‹, sagt er, bevor er zur Therapie aufbricht.

Gefangenenarbeit, betont Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos, sei eine Grundvoraussetzung zur Resozialisierung. ›Auf der einen Seite ist das Gefängnis eine Institution, die abgewöhnt, selbstständig zu sein, auf der anderen Seite kann eine Strukturierung durch Arbeit tatsächlich positive Effekte haben‹, sagt die Wiener Kriminalsoziologin Andrea Kretschmann. Dem Strafvollzugsgesetz zufolge ist jeder Insasse zur Arbeit verpflichtet, es sei denn, er ist psychisch oder körperlich nicht dazu in der Lage. Derzeit kommen fast achtzig Prozent der Insassen in den 27 heimischen Justizanstalten dieser Pflicht nach. In Summe haben sie im vergangenen Jahr laut Justizministerium 6,83 Millionen Stunden Arbeitsleistung erbracht.

In Suben stellt Gefangenenarbeit auch ›eine Alternative zu einer Produktionsverlagerung ins Ausland‹ dar.

Der Großteil der Häftlinge ist in den sogenannten Systemerhaltungsbetrieben beschäftigt. Sie putzen die Gänge, waschen Wäsche, arbeiten in der Küche oder pflegen die Außenbereiche des Gefängnisses. Kurz gesagt: Sie helfen, die eigene Justizanstalt intakt zu halten. Darüber hinaus gibt es in einigen Anstalten die Möglichkeit, Lehrberufe wie Schlosser, Tischler oder Maler zu erlernen und sogar den Berufsschulabschluss zu erwerben. Ein Privileg, das aber nur einem kleinen Teil der Inhaftierten zukommt. Als eine ›Mischung aus klösterlicher Eigenversorgung und merkantilistischer Produktionsweise‹ beschreibt der Wiener Strafvollzugsexperte Wolfgang Gratz das Arbeitswesen hinter Gittern. Ein Viertel der geleisteten Arbeitsstunden wird für die Privatwirtschaft verrichtet, informiert eine Sprecherin des Justizministeriums. Die Einrichtungen sind dabei stets bemüht, wirtschaftliche Vorteile der Häftlingsarbeit zu betonen: Die steirische Justizanstalt Leoben wirbt online mit ›flexiblem Arbeitseinsatz, geringen Lohnkosten, keinen personalbezogenen Ausfallzeiten‹. Für die oberösterreichische Haftanstalt Suben stellt Gefangenenarbeit auch ›eine Alternative zu einer Produktionsverlagerung ins Ausland‹ dar, wie auf ihrer Webseite nachzulesen ist. Dass diese Werbung nicht nur uneigennützig die Resozialisierung der Häftlinge im Blick hat, zeigt sich dem, der das Strafvollzugsgesetz liest. In Paragraf 51 heißt es bezüglich der Häftlingsarbeit: ›Der Ertrag der Arbeit fließt dem Bund zu.‹

Wer verstehen will, wie die Kooperation von Unternehmen mit Justizanstalten abläuft und warum sie auch für Letztere so wichtig ist, der muss sich mit Majorin Klaudia Osztovics unterhalten. Sie ist die Mediensprecherin der Justizanstalt Wien-Simmering. ›Zuerst bekommen wir Musterstücke, dann läuft die Probearbeit, und erst dann geht es in den Dienstvertrag‹, sagt Osztovics und klingt dabei wie eine Managerin. Wären da nicht die Gitterstäbe vor ihrem Bürofenster und die Handfesseln an ihrer Uniform.

Seit 2014 können sich Firmen mit wenigen Klicks über ein Onlineformular um Aufträge in der Simmeringer Justizanstalt bewerben. ›Die Anfahrt mit Lkw inklusive Anhänger ist möglich‹, heißt es auf der Website. Am Ende der Straßenbahnlinie 6 sitzen 480 Häftlinge ihre Haftstrafe in einem Gefängnis ab, das als das liberalste in Österreich gilt. Einst residierten hier die Habsburger in einem Jagdschloss. 1552 wurde dort die erste Menagerie in Europa errichtet, in der Löwen, Tiger und Elefanten zur Schau gestellt wurden. Seit 1920 wird das Areal als Gefängnis genutzt. Zuletzt saß hier der ehemalige Innenminister Ernst Strasser seine Haftstrafe wegen Bestechlichkeit ab. Sein ehemaliger Zimmerkollege erzählt, dass ›der Ernstl‹ damals als Freigänger im Büro seiner Lebensgefährtin gearbeitet habe. Die wenigsten haben das Glück, die Haftanstalt zum Arbeiten verlassen zu können. Neunzig Insassen verrichten von Montag bis Freitag Stücklohnarbeit im hauseigenen Unternehmerbetrieb. Mit fünf Firmen wird seit Jahren kooperiert. Namen will Osztovics nicht nennen, dafür legt sie eine Preisliste auf den Tisch. 9,70 Euro die Stunde zahlt ein externes Unternehmen pro Arbeitskraft. ›Davon behält sich der Bund 75 Prozent als Vollzugskostenbeitrag‹, erklärt die Justizbeamtin. Diesen Beitrag kann man sich wie eine Art Miete im Gefängnis vorstellen, mit der ein Teil der Vollzugskosten von derzeit 444 Millionen Euro im Jahr gedeckt wird. 31 Millionen Euro hat der Bund im Jahr 2015 an der Gefangenenarbeit für externe Auftraggeber verdient. Einem Häftling im Unternehmerbetrieb von Klaudia Osztovics hingegen bleiben meist weniger als zehn Euro am Tag. Die Hälfte davon bekommen die Häftlinge als Hausgeld, der Rest kommt in die ›Rücklage‹, ein privates Konto für das Leben nach der Haft. Diese Rücklage soll ein Sprungbrett für das Leben in Freiheit sein.

Oliver Riepan denkt nur selten an seine Freilassung. Der großgewachsene Mann ist überzeugt, dass er ›in absehbarer Zeit hier nicht mehr rauskomme‹. Am 14. März führen die Justizwachebeamten Riepan in den spärlich eingerichteten Besucherraum von Wien-Mittersteig, einer Haftanstalt für sogenannte geistig abnorme Rechtsbrecher. Hier kommt man erst frei, wenn ein Psychiater der Meinung ist, dass man bereit dafür sei. Für den ›obersten Querulanten im Strafvollzug‹, wie er sich selbst nennt, dürfte das noch dauern. Um gegen die ›Ausbeutung durch Häftlingsarbeit‹ zu protestieren, trat Riepan 2016, damals noch in Graz-Karlau, in Hungerstreik. Ein Mithäftling nähte sich die Lippen zu. Gemeinsam mit weiteren Insassen riefen sie eine Gefangenengewerkschaft aus. Laut Justizministerium lässt die bestehende Rechtslage aber keinen Spielraum für eine Gewerkschaft für Inhaftierte. Da Häftlinge einer Arbeitspflicht unterliegen, handle es sich nicht um ein Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis, sagt das Ministerium. Mit Verlegungen und Kontaktsperre verlieh es seiner Meinung Nachdruck und zerstreute so die Organisierungsversuche. ›Wir wollen eine Entlohnung, die der geleisteten Arbeit entspricht‹, sagt Riepan. Er blickt durch die Gitterstäbe auf das Dach einer Tiefgarage. Gerade als er beginnt, über die Auftraggeber der Gefängnisarbeit zu sprechen, öffnet sich die Tür zum Besucherzimmer, ein Justizwachebeamter tritt ein, konfisziert den mitgebrachten Notizblock und führt den Häftling ab. Riepan ist es nicht erlaubt, mit Journalisten zu sprechen, schreibt die Generaldirektion des Justizministeriums Tage später an DATUM. Der ›oberste Querulant‹ darf also nicht sprechen.

Die Vorzüge des gelockerten Vollzugs zu genießen weiß hingegen Silvia. Wenn sie mit ihrer Arbeit am Bezirksgericht Wien-Döbling fertig ist, trinkt sie noch einen Kaffee in einer Pizzeria nahe dem Reumannplatz, diesmal mit ihrer Kollegin Inge. Beide sitzen dort in der Justizanstalt Favoriten wegen Drogendelikten ein. Und beide könnten in den nächsten Monaten freikommen, wenn es gut läuft. Silvia dreht sich eine Zigarette. ›Da drinnen‹, sagt sie, ›wirst du zum Sparmeister.‹ Eine Packung Tabak, ein Cappuccino nach der Arbeit: Das sind für die beiden Frauen fast schon Luxusprodukte. Wenn Inge im Mai freikommt, kann sie auf ihre Rücklage zugreifen. Sie war wie Silvia in der privilegierten Situation, bei einem Bezirksgericht in Wien zu arbeiten. Etwa tausend Euro hat sie dadurch innerhalb eines Jahres ansparen können. Doch im Gegensatz zu Silvia hat Inge keine Wohnung, in die sie zurückkehren kann, und keine Familie, die sie finanziell unterstützt. Nach ihrer Freilassung wird sie vorübergehend in ein betreutes Wohnheim ziehen müssen. ›Dort bin ich wieder mit dem gleichen Publikum konfrontiert wie im Gefängnis‹, sagt sie: Alkohol- und Drogenkranken. ›Ich habe das aber zum Glück hinter mir.‹

›Da drinnen‹, sagt sie, ›wirst du zum Sparmeister.‹ Ein Cappuccino nach der Arbeit ist Luxus.

Im Gespräch mit Silvia und Inge wird klar, dass eine Debatte über Gefangenenarbeit viele Seiten hat. Einerseits blühen die Frauen durch die Arbeit am Gericht auf, haben einen strukturierten Alltag und zumindest einige Stunden am Tag ein Leben wie in Freiheit. Andererseits reicht das Geld, das sie dort über Monate, Jahre verdienen, nicht einmal aus, um die Kaution für eine Wohnung zu bezahlen.

Für Firmen und öffentliche Stellen aber, und hier zeigt sich das zentrale Problem, birgt es wirtschaftliche Vorteile, wenn Häftlinge ihre Post sortieren oder an der Werkbank stehen. Arbeitet Hannes in Freiheit in einem Betrieb, steht ihm der kollektivvertraglich festgelegte Lohn von rund 1.200 Euro bei dreißig Stunden Arbeit pro Woche zu. Sein Arbeitgeber muss dazu die Lohnnebenkosten bezahlen, kommt damit auf etwa 1.600 Euro Kosten für Hannes’ Arbeit. Lässt ein Unternehmer jedoch im Gefängnis fertigen, bezahlt er in Summe nur 1.200 Euro pro Monat. Hannes bekommt davon lediglich 280 Euro für dieselbe Tätigkeit, trotz beendeter Facharbeiterausbildung. Hinter Gittern wird Hannes weder bezahlt, wenn er im Krankenstand ist, noch darf er sich gewerkschaftlich organisieren, um für seine Rechte einzustehen. Zudem zahlt der Bund während seiner Haft nicht in Hannes’ Pensionsvorsorge ein.

Konfrontiert man Unternehmen mit den Niedriglöhnen und der fehlenden Pensionsversicherung der Häftlinge, rufen Pressesprecher zurück, die skeptisch, nervös oder unsicher klingen. ›Wir müssen das intern prüfen‹ und ›Das kann ich mir nicht vorstellen‹, sind häufige erste Reaktionen.

In Österreich gibt es kaum jemanden, der nicht mit Produkten in Kontakt kommt, die in Haft hergestellt wurden. ›Made in Häfn‹ hingegen steht auf keinem Lieferschein, von den eintönigen Arbeiten und niedrigen Gehältern ganz zu schweigen.

Im Vergleich zu Deutschland, wo Firmen wie Siemens, Rewe und Miele in Haftanstalten produzieren lassen und Justizanstalten eigenen Onlineversand betreiben, scheint die Gefängnisindustrie in Österreich noch in den Kinderschuhen zu stecken. Und doch zieht in den Betrieben hinter Gittern eine Unternehmenskultur ein. Seit Jahren drängt das Finanzministerium in seiner Budgetvorschreibung für den Strafvollzug zum ›Ausbau des Arbeitswesens‹ und fordert Justizanstalten auf, ›Arbeitsleistungen an den Bedürfnissen möglicher Leistungs­abnehme­rinnen‹ zu orientieren. Heute kuvertieren Häftlinge Werbung und Postwurfsendungen im Auftrag von Spar, der Snowboardmarke Burton, von Wein & Co und der Donauuniversität Krems. Insassen sortieren Kleiderhaken von C&A und Vögele, die in der Umkleidekabine zurückgelassen werden. In Haft wurden Gewürzdosen etikettiert, die man bei Babette’s im ersten und vierten Wiener Gemeindebezirk kaufen kann. Insassen der Justiz­anstalt Graz-Karlau reparieren Selbstbedienungsständer der Tageszeitung Österreich, die man von Bahnhöfen und U-Bahn-Stationen kennt.

Häftlinge kuvertieren im Auftrag von Wein & Co und Spar, sortieren Kleiderhaken von C&A und Vögele.

Selbst lokale Gemeindebüros von FPÖ, ÖVP und SPÖ haben kleinere Aufträge ausgelagert, etwa den Druck von Tombolalosen und das Wäschewaschen. Dazu kommen unzählige Sportvereine und Jagdgesellschaften, der Österreichische Turnerbund, Maturaballkomitees und eine Pensionsversicherungsanstalt. In der Justizanstalt Suben produzierten Häftlinge für ein heimisches Unternehmen vergangenes Jahr gleich mehrere Millionen Mäusefallen. In Korneuburg und der Josefstadt sind es Ansteckplaketten für die Biobutton KG. Der österreichische Hersteller wurde 2011 für den Umweltpreis der Stadt Wien nominiert und wirbt mit ›unternehmerischer Sozialverantwortung‹. In der Justiz­anstalt Simmering wiederum werden Schminksets verpackt, in Stein demnächst Waldviertler-Schuhe für Gea hergestellt. Angesprochen auf die Gefangenenarbeit, berufen sich Unternehmen meist auf soziale Motive: ›Aus unserer Sicht ist es zu befürworten, den Häftlingen sinnvolle Aufgaben zu geben und somit einen strukturierten Tagesablauf zu ermöglichen‹, kommentiert die Brau Union AG, für die Benedikt in Stein Wieselburger-Flaschen mit Porzellankorken versieht. Die Firma Remus, für die Hannes Auspuffrohre schleifen musste, will sich erst gar nicht zu dem Auftrag äußern.

Über die wirtschaftlichen Vorteile sprechen nur jene Firmen, denen Anonymität zugesichert wird. So etwa ein Auftraggeber, der jährlich 25.000 Stück seiner Produkte von Häftlingen herstellen lässt. ›Um den Preis kann man das in Österreich sonst nicht machen lassen‹, sagt er. Den Rest seiner Produktpalette lässt er in Polen fertigen, in Freiheit. Dort seien die Preise vergleichbar mit denen in österreichischen Haftanstalten, sagt der Unternehmer. ›Sicher spielt die soziale Komponente eine Rolle. Es kann mir aber keiner erzählen, dass der preisliche Vorteil nicht der Hauptgrund ist, im Gefängnis produzieren zu lassen.‹

Wer sind jene, die sich für eine Reform des Arbeitswesens hinter Gittern einsetzen? Die Wahrheit ist: Es gibt nicht viele von ihnen. ›Strafvollzug an sich ist ja schon ein Randthema, und Gefangenenarbeit erst recht‹, sagt Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen. Er sitzt in seinem Büro in der Wiener Löwelstraße, die Tabelle mit den Gefangenengehältern vor sich auf dem Tisch. ›Das Problem ist‹, sagt Steinhauser, ›dass am Ende der Steuerzahler draufzahlen muss, wenn Gefangene mehr verdienen, geschweige denn eine Pensionsversicherung bekommen sollen.‹ Dass mit dieser Forderung ›keine Wahlen zu gewinnen sind‹, weiß auch Justizexperte Gratz.

Beim Österreichischen Gewerkschaftsbund fühlt man sich zwar nicht zuständig für inhaftierte Arbeiter, da es sich um kein klassisches Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis handelt. ÖGB-Sprecherin Alexa Jirez betont aber, man sei ›natürlich grundsätzlich gegen Lohn- und Sozialdumping, egal wer die Leidtragenden und die Auftraggeber sind. Arbeit muss auch im Rahmen des Strafvollzugs angemessen entlohnt werden.‹ Ebenfalls kritisch sieht Leo Gottschamel von der Abteilung Wirtschaftsrecht der Österreichischen Wirtschaftskammer das Arbeitssystem in den heimischen Gefängnissen: ›Haftanstalten können aufgrund der besonderen Situation natürlich kostengünstiger und damit billiger anbieten. Aus Sicht der Unternehmer ist das eine Konkurrenz, die auch eine reelle Gefahr sein kann.‹ Und dann gibt es einen Mann, der glaubt, dass man das System nur ›von innen‹ verändern kann. Er arbeitet in einem Buchladen in der Nähe des Wiener Unicampus und hat selbst Hafterfahrung.

›Warum sollten Gefangene keine eigene Gewerkschaft haben dürfen?‹, fragt Oliver Rast. Diese Frage begleitet den gebürtigen Berliner, seitdem er selbst drei Jahre lang im Gefängnis gesessen ist. Früher war er Mitglied der klandestinen linksradikalen MG (›Militante Gruppe‹), die sich mit Brand­anschlägen etwa gegen Militarisierung einsetzte. Rast wurde beim Versuch, ein Fahrzeug der deutschen Bundeswehr anzuzünden, festgenommen und wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Inzwischen ist die Zeit des ›Flambierens‹, wie er die Anschläge nennt, vorbei. Heute betreibt er Lobbying für Häftlinge. Für Silvia in Favoriten, Benedikt in Stein und Hannes in Graz-Karlau. Sein Ziel: die von ihm mitgegründete Gefangenengewerkschaft nach Österreich zu exportieren. In Deutschland zählt die Organisation bereits an die 1.000 Mitglieder in mehr als siebzig Gefängnissen.

Das ›Flambieren‹, wie Oliver Rast seine Anschläge nennt, ist vorbei. Heute betreibt er Lobbying für Häftlinge.

›Haftanstalten wandeln sich immer mehr zu einem gewinnorientierten Unternehmen und Niedriglohnsektor‹, sagt Rast. Neben einem gesetzlichen Mindestlohn fordert er auch die Einzahlung in Pensionskassen, um Häftlinge vor Altersarmut nach der Entlassung zu bewahren. Die Forderung ist nicht neu. Vor 15 Jahren versuchte ein österreichischer Häftling sein Recht auf Pension einzuklagen, nachdem er in Summe 28 Jahre hinter Gittern beschäftigt gewesen war. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied 2011 gegen den Gefängnisbäcker, obwohl Häftlinge in anderen europäischen Staaten wie Polen, Luxemburg und Schweden mit Einschränkungen pensionsversichert sind. In Dänemark erhalten Häftlinge unabhängig von ihrer Beschäftigung eine Pensionsversicherung, ganz ähnlich auch in Italien.

Die Empfehlung des Justizministers in einer Infobroschüre zum Strafvollzug: Häftlinge sollten sich doch privat selbstversichern, ›was allerdings entsprechende Geldmittel voraussetzt‹. Die Wahrscheinlichkeit, im Gefängnis zu landen, ist jedoch für arme Bevölkerungsschichten weitaus höher als für andere, was sich auch am hohen Anteil an Eigentumsdelikten ablesen lässt. So beruht die Hälfte aller Verurteilungen, die zu Haft führen, auf Eigentumsdelikten wie Einbruch und Diebstahl. Eine private Pensionsversicherung können sich die wirtschaftlich Schwächsten, die im Gefängnis landen, nicht leisten.

Wer eine lebenslange Haftstrafe absitzen muss, kommt mit großer Wahrscheinlichkeit in die Justizanstalt Krems-Stein, wo ausschließlich männliche Strafgefangene mit einer Haftzeit von mehr als 18 Monaten untergebracht sind, darunter auch zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher. Das Gefängnisareal, das für seinen Hochsicherheitstrakt bekannt ist, umfasst 58.000 Quadratmeter. Josef Fritzl, jener Mann, der seine eigene Tochter rund 24 Jahre lang im ausgebauten Keller gefangen hielt, sitzt hier seine Strafe ab. Ebenso Tawfik Ben Ahmed Chaovali, der 1985 im Namen der Abu-Nidal-Gruppe zusammen mit zwei weiteren Attentätern ein Blutbad am Flughafen Wien-Schwechat anrichtete und später mehrfach gewaltsam den Ausbruch versuchte. Derzeit sind es rund 750 Insassen. Die meisten von ihnen gehen einer Arbeit nach. Einer davon ist Benedikt, der seit drei Jahren Bügelverschlüsse montiert.

Im Innenhof, von Nato-Draht-Rollen und Wachtürmen umgeben, liegt der Sportplatz. ›Zweimal die Woche wird trainiert‹, sagt Hauptmann Markus Weselka, der eine schwere Metalltür öffnet, die in einen dunklen Hallenkomplex führt. Es sei schon vorgekommen, erzählt er, dass Häftlinge versuchten, seinen Zentralschlüssel in der Werkstatt nachzubauen. Deswegen sind Pressefotos von Haftzellen, Wachtürmen und Schlüsseln verboten. Die Betriebe unterscheiden sich nicht von den Werkstätten in Freiheit: Schlagermusik, Poster von Playboy-Models an den Wänden, hier und da ein Aschenbecher. Die wenigen Sonnenstrahlen, die durch die Fenster fallen, lassen die feinen Staubpartikel in der Luft tanzen. Mal riecht es nach Holzspänen, dann wieder nach Backware, Lack oder Schmieröl. Es gibt nur wenige Unternehmen, die sich in Anstalten einen ganzen Betrieb aufgebaut haben – teilweise mit modernster Ausstattung. Vor einem dieser Betriebe steht jetzt Hauptmann Weselka und hat den Firmenchef am Telefon. Dieser lässt ausrichten, dass er keine Journalisten in der Werkstatt haben will. Weselka hebt entschuldigend die Schultern und macht kehrt.

Wer das Kürzel auf der geschlossenen Tür im Firmenbuch nachschlägt, stößt auf die Firma Kompetenz für Metallbau, die ihren Sitz seit 1995 in der Justizanstalt Stein hat. Inzwischen gehören namhafte Unternehmen wie der steirische Maschinenbauer Andritz, die Voestalpine und der Baukonzern Porr zum Kundenstock, jährlich werden fünfzig bis sechzig Aufträge bearbeitet, darunter auch Hochpräzisionshandwerk. Anders als in vielen Gefängnisbetrieben werden hier keine Hilfstätigkeiten verrichtet, sondern oft auch Facharbeit – ohne Lohnnebenkosten für zwanzig Häftlingsarbeiter. Derartige Betriebe, so erzählen Insassen, sind beliebt, weil sie bis zu 500 Euro im Monat bei 14 Gehältern pro Jahr auszahlen. ›Damit gehörst du zu den Reichen im Knast‹, sagt ein Häftling.

Wirklich wohlhabend wird im Gefängnis aber mit Sicherheit keiner. Für Häftlinge wie Silvia und Hannes geht der gewohnte Alltag hinter Gittern dennoch weiter: Briefe austragen, Akten sortieren, Rohre schleifen. Und bevor in Österreich die Bierzeltsaison losgeht, hat Benedikt noch viele Kisten Wieselburger-Flaschen vor sich.

Was tragen Gefangene in Österreich?

Es darf eigene Unterwäsche getragen werden. Es darf über das Hausgeld verfügt werden. Es dürfen eigene Bücher, Zeitungen und Zeitschriften beschafft werden. Es dürfen Nahrungs- und Genussmittel bezogen werden.

Was trägt man im Gefängnis?

Der Gefangene darf eigene Kleidung, eigene Wäsche und eigenes Bettzeug benutzen, wenn sie oder er für Reinigung und Instandsetzung auf eigene Kosten sorgt; anderenfalls erhält er Kleidung, Wäsche und Bettzeug von der Vollzugsbehörde. Anderenfalls wird ihm Anstaltskleidung und zur Verfügung gestellt.

Was mitnehmen haftantritt?

Mitzubringende Unterlagen: die Ladung zum Strafantritt, Personalausweis oder Reisepass, sofern vorhanden Führerschein, Sozialversicherungsausweis, elektronische Versicherungskarte Ihrer Krankenkasse.

Was steht einem Häftling zu?

Wie viel Taschengeld bekommt ein Häftling? Ein Strafgefangener erhält nach § 46 StVollzG ein angemessenes Taschengeld, wenn er ohne sein Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhält.