Die Menschenwürde ist nach moderner Auffassung zum einen der Wert, der allen Menschen gleichermaßen und unabhängig von ihren Unterscheidungsmerkmalen wie Herkunft, Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung oder Status zugeschrieben wird, und zum anderen der Wert, mit dem sich der Mensch als Art über alle anderen Lebewesen und Dinge stellt. Als Rechtsbegriff umfasst die Menschenwürde in der deutschsprachigen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie bestimmte Grundrechte und Rechtsansprüche der Menschen und ist von der umgangssprachlichen Bedeutung des Begriffes Würde zu unterscheiden. Show
Die Menschenwürde ist nach Auffassung von Christian Starck und anderer Staatsrechtler verwurzelt in einer christlichen Tradition sowie der antiken Philosophie und beinhalte damit eine bestimmte Sicht auf Menschenrechte (siehe auch: Krone der Schöpfung); der Philosoph Herbert Schnädelbach führt den Begriff auf die jüdische Religion sowie die Stoa zurück.[1][2] Auf rechtsphilosophischer Ebene sind Menschenrechte u. a. durch Menschenwürde im deutschen Grundgesetz verankert. Auf rechtstheoretischer Ebene erhebt sich damit die Frage, inwiefern die Weiterentwicklung von Gesetzen, die die Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Recht auf Selbstbestimmung, Schutz vor Folter und Hinrichtung, Recht auf Teilhabe oder Gesundheit einschränken, auf der Grundlage der Menschenwürde stattfinden kann. Innerhalb der deutschen Rechtstheorie wird die Vorstellung, dass die Menschenwürde als ein ethisches Grundprinzip zeitlos sei und als Maßstab über jeder Staatsform stehe, nicht uneingeschränkt vertreten, wiewohl die unantastbare Würde eines jeden Menschen gemäß Artikel 1 in Verbindung mit der Ewigkeitsklausel des deutschen Grundgesetzes im rechtlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes uneingeschränkt gegeben ist. Auf weltanschaulich-religiöser Ebene wird diskutiert, was unter Menschenwürde bei den rechtsethischen Fragen des Lebensbeginns und des Lebensendes verstanden wird. Aus psychologischer Sicht wurde der Begriff der Menschenwürde von dem schweizerisch-amerikanischen Psychiater Léon Wurmser konkretisiert. Er versteht die Scham als Hüterin der menschlichen Würde. Andere Rechtstraditionen berufen sich oft nicht auf ein Prinzip der Menschenwürde, um Menschenrechte herzuleiten. Sie sehen Menschenrechte an sich als primäres unveräußerliches Gut oder Naturrecht an, oder leiten sie aus anderen Prinzipien her (z. B. Utilitarismus, Vertragstheorie). Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Westlich-abendländische Tradition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Idee der Menschenwürde hat historisch tiefreichende Wurzeln. Vorläufer dessen, was heute unter „Menschenwürde“ verstanden wird, finden sich partiell bereits in der römischen Antike, im frühen Judentum und im Christentum. Zu letzteren zählen primär der Gedanke der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,27 EU) und die daraus folgende fundamentale Gleichheit der Menschen.[3][4] Der Gleichheitsgedanke manifestierte sich zunächst als „Gleichheit aller Gläubigen vor Gott“. Bei Paulus kommt diese Vorstellung radikal zum Ausdruck: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus.“ (Gal 3,28f EU). Antike[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die griechische Antike (Vorsokratiker, Platon, Aristoteles) kennt den Begriff der Menschenwürde nicht. Geht man davon aus, dass im humanum ein Ansatz zu suchen sei, dann sieht etwa Aristoteles dies in der Vernunft (logos). Menschenwürde nach dem Verständnis des Grundgesetzes ist jedoch ein Rechtsanspruch. Aus der Tatsache, dass der Mensch ein rationales Wesen ist, folgt für Aristoteles nicht, dass er bestimmte Ansprüche an Andere oder die Gesellschaft hat. Auch aus der Nikomachischen Ethik lässt sich außer in der Erörterung der zwei Typen der Gerechtigkeit nur schwer ein Begriff der Menschenwürde herauslesen. Im Begriff der distributiven Gerechtigkeit etwa soll dem Einzelnen nach dem Prinzip der Würdigkeit und des Verdienstes zugeteilt werden. Die Würdigkeit bemisst sich danach, was jener für die Gemeinschaft geleistet hat. Anders sieht dies die römische Antike. Zwei Begriffe spielen dabei eine Rolle.
Grundlegend für den Begriff der humanitas ist das Werk Ciceros. Dort wird jedoch der Begriff als Unterscheidungskriterium zum Tier, nicht aber als personale Eigenschaft verstanden. Erst mit dem Konzept der dignitas ‚Würde‘, ‚Würdigkeit‘ können erste Ansätze zum Begriff der Menschenwürde gesehen werden. Einschlägig hierfür sind Ciceros Werke De re publica ‚Über den Staat‘ und De officiis ‚Vom pflichtgemäßen Handeln, Von den Pflichten‘. 1) Cicero betrachtet dignitas als gesellschaftliches Konzept in De re publica und De officiis
– Cic.rep. I,43, siehe auch Cic.off. I,42.
Hieraus wird deutlich, dass Cicero durchaus in der aristotelischen Tradition steht, wonach Würde und Würdigkeit immer bezogen sind auf die persönliche Leistung eines einzelnen für sein Gemeinwesen. Würde muss man sich verdienen und man kann sie verlieren. Für Cicero, der die Leistungen Cäsars anerkannte, war Cäsar sowohl praktisch-politisch wie auch theoretisch ein Problem. Man kann sogar soweit gehen und sagen, dass Cicero seine Ideen an Cäsar geschärft hat. So erkennt er zwar die Leistungen Cäsars für das Gemeinwesen an, nicht jedoch den Schritt Cäsars, als er diese einfordert. Dignitas ist demnach kein unbedingter Anspruch, dem man aus Leistungen unmittelbar ableiten kann. Cicero weist darauf hin, dass das Gemeinwesen die letzte Urteilsinstanz dafür bleibt und nicht der einzelne. Cäsar hatte mit dem Überschreiten des Rubicon (und der Vertreibung des Senats) etwas eingefordert, was man nicht einfordern kann. 2) Ciceros Konzept einer angeborenen Würde des Menschen in De officiis Dem gesellschaftlichen Konzept von Würde setzt Cicero ein Konzept von menschlicher Würde entgegen. Diese Würde, so scheint es, kann nicht aberkannt werden. Dort, wo Cicero vom Menschen im Gegensatz zum Tier redet, billigt er allen Menschen eine Würde zu. Frage: Marcus, wodurch oder weshalb erhält ein Mensch seine Würde? Cicero: Weil wir alle an der Vernunft teilnehmen, an dieser Vorzüglichkeit, mit der wir die Tiere übertreffen. (Cic.off. I,106)Frage: Und was muss man tun, um sich diese Würde, die uns als Menschen zuteil wird, zu bewahren? Cicero: Die Lust ist der Vorzüglichkeit des Menschen nicht würdig genug, so dass es nötig ist, sie zu verachten und zurückzuweisen. (Cic.off. I,106)Würde erhält der Mensch demnach, weil er im Gegensatz zum Tier vernünftig ist, und zwar zunächst unabhängig von seinen Leistungen. Er muss sich diese Würde durch ein entsprechendes Verhalten (kein Luxus, keine Prunksucht) aber bewahren. Wie ist das zu verstehen und wie passt das mit Ciceros gesellschaftlichem Konzept von Würde zusammen? Gängige Interpretationen gehen davon aus, dass der Mensch zunächst eine natürliche und mit der Geburt gelieferte (nicht jedoch angeborene, die man ja nicht verlieren kann!) Würde besitzt. Allerdings kann er diese Würde erhalten, vergrößern oder ganz oder teilweise verlieren. Dies hängt ganz von seinen Leistungen ab, wie sie unter 1.) beschrieben wurden. Man könnte dies vergleichen mit einem Glas, das bei der Geburt mit einer bestimmten Menge Flüssigkeit (= Würde) gefüllt ist. Im Laufe des Lebens kann die Flüssigkeit zu- oder abnehmen. Fasst man die antike Auffassung von Menschenwürde nochmals zusammen, so lässt sie sich auf zwei Eigenschaften reduzieren. Würde ist
Damit wird aber auch deutlich, dass in der Antike dort, wo vom Menschen als Gattungswesen der Begriff einer unveräußerlichen Würde/Würdigkeit fehlt, und dort wo von Würde die Rede ist, diese nicht als universeller Anspruch, sondern als persönlicher formuliert ist. Im frühen Christentum spielt die Menschenwürde eine Rolle, wird aber unterschiedlich verstanden.[5] Renaissance[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Giovanni Pico della Mirandola gab 1486 mit seinem Traktat „Oratio de hominis dignitate“ („Rede über die Würde des Menschen“) einen wesentlichen Impuls für die Diskussion um die Würde des Menschen, der unter anderen von Thomas Morus, Erasmus von Rotterdam, Johannes Reuchlin, Juan Luis Vives, Huldrych Zwingli und Philipp Melanchton rezipiert und weitergetragen wurde. Aufklärung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zu einem umfassenden philosophischen Konzept ausformuliert wurde der Begriff der Menschenwürde aber erst im Zuge der europäischen Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert. Samuel von Pufendorf (1632–1694) erklärt:
Damit verbindet Pufendorf die Idee der Menschenwürde mit der Idee der Seele, mit der Idee der Vernunft und mit der Idee der (Entscheidungs-)Freiheit. Islam[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Laut der Präambel der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam wird dem Menschen Würde zuteil. Hergeleitet wird dies – wie die gesamte Erklärung – „aus dem edlen Koran und der reinen Sunna des Propheten.“[6] Als eine Belegstelle wird Sure 17 Vers 70 angesehen: „Nun haben wir fürwahr den Kindern Adams (Menschen-)Würde verliehen […] und sie weiter über alle Dinge unserer Schöpfung begünstigt.“[7] Buddhismus und Konfuzianismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auch außereuropäische Religionen und Philosophien wie der Buddhismus und der Konfuzianismus kennen die Anerkennung des Werts und der Würde des einzelnen Menschenlebens. Diese findet Gregor Paul beim chinesischen Philosophen Menzius (ca. 370–290 v. Chr.).[8] Mit Peng-chun Chang war ein Chinese maßgeblich an der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beteiligt, die in der Präambel und in Art. 1 auf die Menschenwürde Bezug nimmt. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die UN-Generalversammlung verkündet am 10. Dezember 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 1: Deutsche Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Weimarer Reichsverfassung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 bestimmte in Art. 151 zu Beginn des Fünften Abschnitts „Das Wirtschaftsleben“:
Die Formulierung ging zurück auf Ferdinand Lassalle, den ersten Präsidenten des 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.[9] Zeit des Nationalsozialismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurde die Weimarer Reichsverfassung Stück für Stück außer Kraft gesetzt beziehungsweise durch neue Rechtsgrundsätze ersetzt, wie etwa das Verbot anderer Parteien. Statt Menschenwürde hieß es nun: „Recht ist, was dem Volke nützt!“ und „Der Führer schützt das Recht!“ Die Weltanschauung des Nationalsozialismus mit seinem Rassismus und Antisemitismus, seiner Theorie vom „Lebensraum“ und vom „Untermenschen“, seinem Sozialdarwinismus widersprach den demokratischen Traditionen. Die Verneinung der menschlichen Würde findet besonders während des Zweiten Weltkriegs in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, in der so genannten „Euthanasie“ („Aktion T4“), im Kommissarbefehl zur Ermordung der politischen Kommissare der Roten Armee, dem Nacht- und Nebel-Erlass und den weiteren „Führerbefehlen“ ihren Höhepunkt. Den Gipfel der Menschenverachtung unter Hitler stellt der Holocaust dar, mit dem Völkermord an 6 Millionen europäischen Juden. Die meisten dieser Gesetze, Befehle und Erlasse wurden von den Alliierten nach 1945 schrittweise aufgehoben. Aber erst in den 1980er Jahren wurden die NS-Gerichtsurteile in ihrer Gesamtheit für nichtig erklärt. Verfassungen der DDR[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Verfassung vom 7. Oktober 1949[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Anknüpfend an die Weimarer Reichsverfassung bestimmte Art. 19 (Wirtschaftsordnung) der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949:[9]
Verfassung vom 6. April 1968[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Art. 19 der Verfassung der DDR vom 6. April 1968:
Ob insbesondere die staatlichen Organe das Gebot beachteten oder ignorierten, war mangels einer Kontrolle ihrer Maßnahmen durch ein Verfassungsgericht oder Verwaltungsgerichte nicht überprüfbar. Aktuelle Entwicklungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aufgrund ihrer Herkunft wird die Idee der Menschenwürde von einigen außereuropäischen Kritikern als rein westlich und kulturell gebunden angesehen. Der Vorstellung der grundsätzlichen Menschenwürde widerspricht die utilitaristische Philosophie. Prominentester Vertreter in der Diskussion der 1980er und 1990er Jahre war der Australier Peter Singer. In seiner Ethik vertritt er – an Werner Catel und Joseph Fletcher anknüpfend – die Ansicht, dass Menschenwürde und mit ihr das „Recht auf Leben auf die Fähigkeit, weiterleben zu wollen, oder auf das Vermögen, sich als kontinuierliches mentales Subjekt zu betrachten, gegründet werden muss[.]“[10] Eine philosophische Begründung der Menschenwürde wurde von Vertretern der Diskursethik wie etwa Dietrich Böhler vorgelegt. Dort wird im kritischen Rekurs auf Immanuel Kant die Ansicht vertreten, dass in der Fähigkeit zum Diskurs, zum rationalen Argumentieren bzw. überhaupt zum Äußern einer Position, die selbst Anspruch auf Geltung erhebt, implizit die Verpflichtung zur Anerkennung der Menschenwürde aller möglichen Diskurspartner (aller Menschen) enthalten sei und philosophisch erwiesen werden könne.[11] In Deutschland kam es in den 1990er-Jahren unter anderem in der politischen Auseinandersetzung um die Gentechnologie, die Abtreibung oder etwa die pränatale Diagnostik zu Diskussionen darüber, wie weit die Menschenwürde reicht. In der Ethikdebatte um das Embryonenschutzgesetz etwa wurde dem menschlichen Embryo – im Rückgriff auf Kants Definition – eine personale Menschenwürde, also ein absolutes und unverfügbares Existenzrecht zugesprochen, um ihn jeder technischen und ökonomischen Nutzung zu entziehen. Dieses Speziesargument ist eines der vier SKIP-Argumente. Hintergrund der Ethikdebatte war die Befürchtung, dass der Mensch nicht nur einer industrialisierten Umwelt ausgesetzt wird, sondern zum Produkt der industriellen Gestaltung des Lebens selbst werden könnte, und seine biologische Ausgestaltung sich letztlich ökonomischen Verwertungsinteressen nicht mehr entziehen könnte. Menschenwürde bei Kant[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der Philosoph Immanuel Kant hat in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten die Achtungswürdigkeit und die Menschenwürde an sich im weitesten Sinne definiert. Das Grundprinzip der Menschenwürde besteht für ihn in der
Kant geht davon aus, dass der Mensch ein Zweck an sich sei und demnach nicht einem ihm fremden Zweck unterworfen werden darf. Das heißt: Die Menschenwürde wird verletzt, wenn ein Mensch einen anderen bloß als Mittel für seine eigenen Zwecke benutzt – etwa durch Sklaverei, Unterdrückung oder Betrug:
Die Ansichten Kants finden sich heute in der Objektformel wieder, mit der eine Verletzung der Menschenwürde verfassungsrechtlich bestimmt wird. Auf Kant geht auch die Idee von der sittlichen Autonomie des Menschen zurück. Menschenwürde als Verfassungsprinzip[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Verfassungen vieler Demokratien schützen Rechte und Freiheiten an sich, ohne Bezug auf ein Prinzip der Menschenwürde. Die Bill of Rights von 1776 beispielsweise benennt als unveräußerliche Rechte „Recht auf Leben und Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu behalten und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen“. Als (zum Teil oberstes) Prinzip der Verfassungsordnung wird die Menschenwürde in folgenden Mitgliedstaaten der Europäischen Union genannt:[9]
Auch in
wird die Menschenwürde als oberstes Prinzip ausdrücklich genannt. Zudem enthält der Vertrag über eine Verfassung für Europa von 2004, in Teil I Artikel I-2, sowie Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union den Schutz der Menschenwürde. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Würde des Menschen ist unantastbar (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Landgericht in Frankfurt am Main Wortlaut[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Achtung der Menschenwürde durch den Staat und seine Vertreter ist in Art. 1 Abs. 1 GG festgeschrieben: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Historischer Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Gewährleistung der Menschenwürde als höchstem Wert der Verfassungsordnung hat kein Vorbild in anderen westlichen Verfassungen. Ihre Einfügung in das Grundgesetz 1949 ist als Resultat auf die Erfahrungen der deutschen Geschichte zurückzuführen. Bereits 1946 hatte die Verfassung des Freistaats Bayern zur Achtung der „Würde der menschlichen Persönlichkeit“ verpflichtet. Das Grundrecht ist als bewusste Reaktion auf die massive Missachtung der Würde des Menschen durch den NS-Staat zu verstehen.[23] Die damalige Diskriminierung von Juden und Behinderten wurde mit deren angeblich minderwertigem Menschsein begründet. Dasselbe ist festzustellen bei vielen anderen historischen Menschenrechtsverletzungen (Diskriminierung von Sklaven, Indianern, Frauen oder ungeborenen Kindern). Die Festschreibung der unantastbaren Menschenwürde im Grundgesetz sollte jede Legalisierung des Entzugs der Grundrechte oder Menschenrechte verhindern. Denn Menschenwürde steht jedem Mitglied der menschlichen Familie (homo sapiens) in gleicher Weise zu, unabhängig von dessen sonstigen Eigenschaften oder Fähigkeiten. Sie kann demnach nicht gemessen werden, kann weder wachsen noch schrumpfen oder jemandem entzogen werden. Würde Menschsein oder Menschenwürde zur „variablen Größe“ erklärt, dann könnten damit alle Menschenrechte und Grundrechte beliebig relativiert werden. Die Achtung der Menschenwürde ist somit Voraussetzung und Garant für die Geltung aller weiteren Menschenrechte. Da selbst demokratische Mehrheiten gegen derartige Fehlurteile nicht gefeit sind, wurde in der deutschen Verfassung (durch Artikel 79 Abs. 3 GG) ausdrücklich eine Änderung des Gehalts von Artikel 1 GG verboten. Die Menschenwürde als oberster Wert des Grundgesetzes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Menschenwürde ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die oberste Wertentscheidung des Grundgesetzes.[24] Ihre Spitzenstellung wird durch Art. 79 Abs. 3 GG gesichert (Ewigkeitsklausel). Letzteres bedeutet, dass das Prinzip der Menschenwürde dem Zugriff durch den verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen ist, eine Abschaffung wäre unzulässig. Die Menschenwürde kann damit niemandem genommen werden, weil sie dem Menschen im Rahmen der Werteordnung bereits durch seine bloße Existenz eigen ist. Wohl aber kann der mit dieser Existenz verknüpfte Achtungsanspruch (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt werden, den der Mensch als Rechtspersönlichkeit wiederum formulieren kann. Die Menschenwürde als Ausfluss des Menschseins wird geschützt, indem sie vor Verletzungen des Achtungsanspruchs geschützt wird. Positiv formuliert hat der Staat alles zu unternehmen, was die Menschenwürde schützt und gleichzeitig alles zu unterlassen, was die Menschenwürde beeinträchtigt. Damit ist die Menschenwürde ein Abwehrrecht gegen die öffentliche Gewalt und den an den Willensbildungsprozessen beteiligten staatstragenden Organen einerseits und andererseits ein Leistungsrecht (mit einer Schutzpflicht). Anders als bei anderen Grundrechten ergibt sich die staatliche Schutzpflicht im Hinblick auf die Menschenwürde schon aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG („Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“).[25] Der Gesetzgeber und die vollziehende Gewalt sind verpflichtet, allgemeinverbindliche Normen zu erlassen, die den Schutz der Menschenwürde bestmöglich gewährleisten. Der Staat und seine Gerichte müssen darauf hinwirken, dass nicht nur die öffentliche Gewalt, sondern auch Dritte die Menschenwürde jedes Einzelnen achten. Der Begriff der Menschenwürde[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Würde als (natürliches) Wesensmerkmal und (kultureller) Gestaltungsauftrag Definition des Bundesverfassungsgerichts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der Menschenwürde in einer Mehrzahl seiner Entscheidungen bestimmt.[26] Das Gericht betont dabei den Wert- und Achtungsanspruch, der dem Menschen allein kraft seines Menschseins zukommt.[27] Dieser Wert- und Achtungsanspruch besteht unabhängig von den Eigenschaften eines Menschen, seinen körperlichen oder geistigen Befähigungen und Leistungsfähigkeiten und seinem sozialen Status.[28] Das Bundesverfassungsgericht führte etwa im Beschluss 1 BvR 698/89 des Ersten Senats vom 20. Oktober 1992 zum Begriff der Menschenwürde aus:[29]
Das Bundesverfassungsgericht ergänzte 2006 in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz 2005:[30]
Der Repräsentanz des Menschen im Rahmen aller seiner vorhandenen Qualitäten begegnet der Staat dadurch, dass er dem Menschen konkret dient. Seine Legitimation zum Handeln oder Unterlassen gegenüber Menschen bezieht der Staat aus der verbrieften Wertordnung des Grundgesetzes, deren oberster Grundwert und Wurzel aller Grundrechte die Menschenwürde ist. Als einziger Verfassungsnorm kommt ihr absolut wirksamer Rechtscharakter zu. Weder kann sie normativ in ihrem Wesensgehalt angetastet werden, noch kann sie beschränkt werden, auch nicht durch andere Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht bejaht die Grundrechtsqualität des Art. 1 GG, da die Menschenwürde unter der Überschrift vor Art. 1 GG („Die Grundrechte“) steht. Damit stellt sich das Gericht gegen den Wortlaut des Art. 1 Abs. 3 GG, der seinem Wortlaut nach „Die nachfolgenden Grundrechte“ erwähnt. Uneingedenk des viel diskutierten Wortlauts des Art. 1 Abs. 3 GG, wird Art. 1 Abs. 1 GG selbst Grundrechtseigenschaft zugesprochen, was unmittelbare Bindung der vollziehende Gewalt auslöst. Damit sind alle (einfachgesetzlichen) Bestimmungen im Lichte der Menschenwürde auszulegen, eine Norm ist mithin verfassungswidrig, wenn sie einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG darstellt. Häufig zieht das Bundesverfassungsgericht Art. 1 Abs. 1 GG im Zusammenhang mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht heran. In diesen Fällen stellt sich die Frage der Grundrechtseigenschaft der Menschenwürde ohnehin nicht. Das Bundesverfassungsgericht teilt die oben bereits dargestellten Feststellungen, soweit sie nicht von ihm selbst konkretisiert worden sind. Im Hinblick auf das Verhältnis von Lebensrecht und Menschenwürde ist es dem Staat untersagt, durch eigene Maßnahmen in das Grundrecht auf Leben einzugreifen und gebietet ihm, sich schützend und fördernd vor das Leben jedes Einzelnen zu stellen und ihn vor rechtswidrigen Angriffen Dritter zu bewahren.[31] Auch nach der h. M. in der Literatur ist die Menschenwürde das höchste Grundrecht. Grundrechte binden nach Art. 1 Abs. 3 GG alle vollziehende Gewalt. Nach einer Mindermeinung richten sich alle Grundrechte nach der Würde des Menschen aus, weshalb Art. 1 GG die Wurzel aller Grundrechte sei. Alle anderen Bestimmungen sind im Lichte der Bedeutung der Menschenwürde auszulegen, mit der Folge, dass jeder Verstoß gegen die Menschenwürde zur Verfassungswidrigkeit der jeweiligen Norm führt, sofern nicht eine grundgesetzkonforme Interpretation der umstrittenen Norm möglich ist. Definition in wissenschaftlichen Grundgesetzkommentaren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Maßgebliche Definitionen zum Inhalt des Begriffes Menschenwürde finden sich in den führenden Kommentaren zum Grundgesetz Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Münch/Kunig, Bruno Schmidt-Bleibtreu/Klein, Horst Dreier oder Sachs. Die frühere, gleichsam naturrechtliche Einordnung von Günter Dürig „Jeder Mensch [sei] ein Mensch kraft seines Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewusst zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten.“ findet aktuell (innerhalb desselben Kommentars) eine Relativierung durch Matthias Herdegen: „Trotz des kategorialen Würdeanspruchs aller Menschen sind Art und Maß des Würdeschutzes für Differenzierungen durchaus offen, die den konkreten Umständen Rechnung tragen.“ Diesen Ansatz würdigte Ernst-Wolfgang Böckenförde in Hinblick auf die Problematik des Embryonenschutzes kritisch.[32] Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem 2006 ergangenen Urteil zum Luftsicherheitsgesetz den Gedanken nochmals aufgegriffen. Danach ist der Mensch nach der Wertordnung des Grundgesetzes ein Wesen, das „in Freiheit (über) sich selbst bestimmt.“[33] Die Menschenwürde versteht sich im Rahmen des Art. 1 GG als „Wesensmerkmal eines jeden Menschen“, daneben aber auch als Gestaltungsauftrag an den Staat. Adressat der Menschenwürde ist auch jeder Einzelne: Die Annahme sittlicher Autonomie des Menschen führt zum Recht eines jeden Menschen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.[34] Wesensmerkmal und Gestaltungsauftrag[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Art. 1 GG sieht die Menschenwürde damit zum einen als Wesensmerkmal jedes Menschen, zum anderen als Gestaltungsauftrag an den Staat und im Rahmen seiner sittlichen Autonomie an den einzelnen: Die Annahme sittlicher Autonomie des Menschen führt zum Recht eines jeden Menschen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.[35] Im Zusammenhang mit dem unweigerlich mit der Menschenwürde verknüpften allgemeinen Persönlichkeitsrecht sind im Rahmen der sogenannten Sphärentheorie die Sozialsphäre des Menschen, das heißt sein Verhalten in der Öffentlichkeit, die Privatsphäre, die den engeren persönlichen Lebensbereich des Menschen betrifft, insbesondere seine Familie und die menschliche Intimsphäre, Kernbereich aller privater Lebensgestaltung, zu beachten. Bisweilen wird daraus gefolgert, dass zwischen menschlichen Wesensmerkmalen und dem staatlichen Gestaltungsauftrag ein Spannungsverhältnis bestünde, welches durch die Unantastbarkeit des umfänglichen Rechts sogar noch verschärft würde. Als Wesensmerkmal sei die Menschenwürde einerseits unveräußerlich und (naturrechtlich) vorgegeben, im Rahmen der Wahrnehmung des staatlichen Gestaltungsauftrags müsse sie andererseits erst hergestellt und erworben werden. Wenn die Menschenwürde auf der anderen Seite tatsächlich unantastbar sei, dann bräuchte sie nicht geschützt und geachtet werden. Damit stellt sich dann die Frage, ob im Grundgesetz ein bestehender Sachverhalt formuliert ist („ist unantastbar“) oder ob das Bestehen des Sachverhalts lediglich suggeriert wird. Nach Dürig wollte das Grundgesetz lediglich unter der Suggestion einer Tatsache eine Forderung von höchster Stärke formulieren. Art. 1 GG sei demnach zu lesen als: Die Menschenwürde eines jeden Menschen darf (von staatlicher Gewalt und anderen) unter keinen Umständen angetastet werden.[36] Im Grunde wird die Problematik damit nur verschoben, weil implizit eingeräumt wird, dass die Menschenwürde angetastet (und auch eingeschränkt) werden kann. Damit wird jedoch die Auffassung vom Wesensmerkmal verlassen. Allerdings löst sich dieser scheinbare Widerspruch auf, wenn die beiden Begriffe „Menschenwürde“ und „Achtungsanspruch“ differenziert betrachtet würden: Die Menschenwürde selbst ist als Wesensmerkmal unantastbar und unverletzbar; der daraus resultierenden Achtungsanspruch ist ein Rechtsanspruch mit Gestaltungsauftrag. Letzterer ist sehr wohl verletzbar und deshalb schutzbedürftig. Gefordert wird also ein respektvoller Umgang mit dem Menschen, der dessen Menschenwürde entspricht. Insofern sind Begrifflichkeiten wie die „Verletzung der Menschenwürde“ irreführend, da unvereinbare Begriffe zusammengefasst werden. Richtig, wenn auch komplizierter in der Darstellung, müsste es heißen: „Verletzung des Achtungsanspruchs der Menschenwürde“. Es müsste auch von „menschen(würde)verachtender Behandlung“ gesprochen werden. Der Einzelne darf nicht zum bloßen Objekt gemacht werden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach der „Objektformel“ des Bundesverfassungsgerichtes[37][38] ergibt sich aus der Menschenwürde der Anspruch eines jeden Menschen, in allen staatlichen Verfahren stets als Subjekt und nie als bloßes Objekt behandelt zu werden; der Einzelne hat also ein Mitwirkungsrecht. Er muss jedes staatliche Verhalten, das ihn betrifft, selber beeinflussen können. Fraglos verboten ist damit, dass die öffentliche Gewalt einen Menschen so behandelt, dass dessen Subjektqualität und sein Status als Rechtssubjekt grundsätzlich in Frage gestellt wird.[39] Das Bundesverfassungsgericht erläuterte 2005 den aus der Menschenwürde abgeleiteten Grundsatz, nach der der Einzelne nicht zum bloßen Objekt gemacht werden darf, am Beispiel des Strafvollzugs:[40]
In seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006[41] hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal die ethisch-rechtlichen Maßstäbe beschrieben, die für den Gesetzgeber bindend sind:[42]
Ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist daher jede quantifizierende Betrachtungsweise menschlichen Lebens, also z. B. die Abwägung vieler Menschenleben gegen ein einzelnes. Jedes Menschenleben ist gleich wertvoll, jeder Mensch besitzt die gleiche Würde. Jeder einzelne hat daher einen Anspruch, dass sich der Staat schützend vor sein Leben stellt. Es ist unzulässig, menschliches Leben zum Schutz anderer Leben zu opfern, und zwar auch dann, wenn die Betreffenden nach aller Wahrscheinlichkeit nur noch wenige Minuten zu leben haben. Ein solches Vorgehen würde Menschen zum Objekt staatlichen Handelns machen und ihnen damit die Achtung versagen, auf die jeder Mensch Anspruch hat; es würde damit gerade denjenigen Menschen, deren Leben in höchster Gefahr ist, der Schutz, den der Staat ihnen schuldet (vgl. oben), versagt werden. Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 GG[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Art. 103 GG: Ausfluss dieser Wertentscheidung ist z. B. der Anspruch jedes Menschen auf rechtliches Gehör.[43] Die Aufgabe der Gerichte, über einen konkreten Lebenssachverhalt ein abschließendes rechtliches Urteil zu fällen, ist in aller Regel ohne Anhörung der Beteiligten nicht zu lösen. Diese Anhörung ist daher zunächst Voraussetzung einer richtigen Entscheidung. Darüber hinaus fordert die Würde der Person, dass über ihr Recht nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt wird; der einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können.[44] Sich aus der Menschenwürde ergebende Verbote[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zugleich ergeben sich aus der Menschenwürde Verbote, wie das der entwürdigenden Bestrafung. So ist beispielsweise die Todesstrafe in Deutschland durch Bundesverfassungsrecht abgeschafft (Art. 102 GG). Dahinter reihen sich Schutzmaßnahmen zur Wahrung der menschlichen Identität, wie das Recht, sich nicht selbst zu belasten, das Verbot des Einsatzes von Lügendetektoren, wenn eine Einwilligung des Betroffenen fehlt oder die Verabreichung eines Wahrheitsserums. Das Grundgesetz schließt eine erniedrigende Behandlung von Menschen durch staatliche Organe als unvereinbar mit deren Würde aus. Nach der Objektformel darf keine Person zum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, insofern ihre Subjektqualität damit infrage gestellt wird (vergleiche Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1970).[45] Die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz des Menschen müssen vom Staat garantiert werden (vergleiche Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1977).[46] Auch § 136a StPO steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verpflichtung des Staates aus Art. 1 GG, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen: Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Misshandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose. Zwang darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zulässt. Die Drohung mit einer nach seinen Vorschriften unzulässigen Maßnahme und das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils sind verboten. Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, sind nicht gestattet. Die genannten Verbote gelten ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten. Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt (§ 136a StPO). Lockspitzel-Einsatz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auch der Lockspitzel-Einsatz kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in die Menschenwürde eingreifen.[47][48] Genetischer Fingerabdruck / DNA-Identitätsfeststellungsgesetz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zur Verfassungsmäßigkeit des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes (DNA-IFG) siehe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.[49] sowie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Keine Strafe ohne Gesetz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach § 1 Strafgesetzbuch kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (siehe auch Art. 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK)). Dieser Grundsatz nulla poena sine lege ist Ausfluss des Art. 1 Abs. 1 GG sowie des Rechtsstaatsprinzips des Art. 20 GG. Prinzipielle Gleichheit aller Menschen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Menschenwürde umfasst neben der unveränderbaren Würde des Einzelnen weiterhin die gleichartige Würde aller Menschen, also den Anspruch auf prinzipielle Gleichheit aller Menschen trotz tatsächlicher Unterschiede: Es ist unzulässig jemanden grundsätzlich wie einen Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Frauen- und Kinderhandel, Stigmatisierung, Brandmarkung, Ächtung, jede Form der rassisch motivierten Diskriminierung verletzten die Menschenwürde. Schutzverpflichtung des Staates im Geltungsbereich des Grundgesetzes[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Schutzverpflichtung des Staates gilt nicht nur gegenüber seinen Bürgern, sondern gegenüber allen Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Das ist auch von praktischer Bedeutung, weil das Grundgesetz natürlich auch für Hoheitsakte deutscher diplomatischer Vertretungen gilt. Wenn z. B. ein Botschafts-Flüchtling in China das Botschaftsgelände erreicht, wäre die Abschiebung ein Verwaltungsakt für den in vollem Umfang deutsches Verfassungsrecht gilt. Mit der Folge, dass politisch Verfolgte Anspruch auf Asyl haben und nicht ohne förmliches Verfahren nach deutschen Regeln einer fremden Staatsgewalt ausgeliefert werden dürfen. Geltungsbereich des Grundgesetzes ist das Staatsgebiet, also die nach internationalem Recht beanspruchten Küstenstreifen, das Territorium am Boden, in der Luft und das Erdinnere bis zur Erdmitte. Außerdem gilt es für alle Akte deutscher Hoheitsträger und Staatsgewalt, also z. B. auf Schiffen unter deutscher Flagge, ex-territoriale Einrichtungen der Bundeswehr, aber auch für die Handlung eines (selbst – nach dortigem Recht – illegal tätigen) Nachrichtendienstmitarbeiters oder Soldaten im Ausland usw. Seit November 2013 entwickelt sich in Deutschland eine Debatte um die Schutzverpflichtung in der stationären Altenpflege. Kommt es, weil der Staat nur unzureichende Ressourcen zur Verfügung stellt, zu allgemeiner Unterversorgung der Menschen, die in Altenheimen leben?[50][51] Verpflichtung des Staates, das Existenzminimum zu gewährleisten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Bundesverfassungsgericht verbindet Art. 1 mit Art. 20 GG (Sozialstaatsprinzip), um „die Verpflichtung des Staates herzuleiten, jenes Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht“.[46] Einsatz des Staates für weltweites Prinzip der Menschenrechte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Grundgesetz verpflichtet den Staat darüber hinaus, sich weltweit für das Prinzip der Menschenrechte einzusetzen. In welcher Form und welchem Umfang das geschieht, liegt im Ermessen von Regierung und Gesetzgeber. Die Bundesrepublik ist beispielsweise internationalen Verträgen beigetreten, Mitglied der Vereinten Nationen, Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention und hat sich verpflichtet, Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu beachten. Im Inland verpflichtet das Grundgesetz den Staat, privat-rechtliche und öffentlich-rechtliche Vorschriften zu erlassen, die geeignet sind, auch außerhalb der staatlichen Sphäre möglichst effektiv zur Durchsetzung der Menschenwürde beizutragen. Dazu zählen z. B. gesetzliche Bestimmungen gegen Diskriminierung. Aus der Würde des Menschen abgeleitete Grundrechte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Grundgesetz listet gleich im Anschluss an Art. 1 GG diejenigen Grundrechte auf, die sich aus der Würde des Menschen ergeben, etwa das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Eigentum und Unverletzlichkeit der Wohnung etc. Postmortale Wirkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Art. 1 GG gilt nach herrschender Meinung auch für das Andenken und den Ruf des Toten, hat also eine postmortale Wirkung (siehe: Mephisto-Entscheidung). Auch nach dem Tod verliert man also nicht den persönlichen Achtungsanspruch; siehe auch Störung der Totenruhe. Die sogenannte Ewigkeitsgarantie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Art. 1 GG, einschließlich des Bekenntnisses zu den Menschenrechten und der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte, stehen unter dem besonderen Schutz einer so genannten Ewigkeitsgarantie (siehe Ewigkeitsklausel). Laut Art. 79 Abs. 3 GG ist eine „Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche (…) die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden (…) unzulässig.“ Damit wird der Staatsgewalt die Einflussnahme auf den Kern des Grundgesetzes verwehrt. Rechtsfälle des Bundesverfassungsgerichts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Bundesverfassungsgericht ist unabhängiges Verfassungsorgan mit der Aufgabe das Grundgesetz durch seine Entscheidungen verbindlich auszulegen. Problematisch ist die begriffliche Bestimmung von Menschenwürde. Weil sie unantastbar ist, kann keine inhaltliche Abwägung darüber vorgenommen werden, inwieweit eine Verletzung vorliegt. Eine Verletzung ist nicht zu rechtfertigen und kann deshalb nur konstatiert werden.[52] Weil Artikel 1 GG durch die Ewigkeitsgarantie in Artikel 79 Absatz 3 GG geschützt ist, hat jede widerspruchsfreie Rechtsprechung des BVerfG in diesem Zusammenhang endgültigen Charakter und kann auch durch den Gesetzgeber nicht aufgehoben werden. Auch wenn dies nicht aus dem Text selbst ablesbar ist, qualifiziert das Bundesverfassungsgericht die Menschenwürde als eigenständiges Grundrecht: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört Art. 1 GG zu den „tragenden Konstruktionsprinzipien“, die alle Bestimmungen des Grundgesetzes durchdringen. Das Grundgesetz sieht die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde als höchsten Rechtswert an“.[53] Zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der Menschenwürde stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „Menschenwürde“ hüten bedeutet, das pathetische Wort ausschließlich in seinem höchsten Sinn zu verwenden, etwa indem man davon ausgeht, dass die Menschenwürde nur dann verletzt ist, wenn die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand, die das Gesetz vollzieht, Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, also in diesem Sinne eine „verächtliche Behandlung“ ist. Tut man dies dennoch, so reduziert man Art. 79 Abs. 3 GG auf ein Verbot der Wiedereinführung z. B. der Folter, des Schandpfahls und der Methoden des Dritten Reichs. Eine solche Einschränkung wird indessen der Konzeption und dem Geist des Grundgesetzes nicht gerecht. Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 GG hat einen wesentlich konkreteren Inhalt. Das Grundgesetz erkennt dadurch, dass es die freie menschliche Persönlichkeit auf die höchste Stufe der Wertordnung stellt, deren Eigenwert, deren Eigenständigkeit an. Im Soraya-Urteil führt es aus: „Das Wertsystem der Grundrechte findet seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde.“[54] Ihr gebührt Achtung und Schutz von Seiten aller staatlichen Gewalt (Art. 1 und 2 Abs. 1 GG). Solchen Schutz darf vor allem die private Sphäre des Menschen beanspruchen, der Bereich, in dem er allein zu bleiben, seine Entscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen und von Eingriffen jeder Art nicht behelligt zu werden wünscht.[55] Im Grundsatz hat das BVerfG die von Dürig in Anlehnung an Kant entwickelte Objektformel uneingeschränkt übernommen.
Allerdings hat es auch die Objektformel nicht als hinreichend betrachtet:
Auch wenn der Mensch im Rahmen der Strafverfolgung zum Objekt staatlicher Handlungen wird, so bedeutet dieses an sich noch keine Verletzung der Menschenwürde:
– BVerfGE 109, 279 – Wohnraumüberwachung, Online-Dokumentation, Rn. 117 In den folgenden Fällen hat das BVerfG eine Verletzung der Menschenwürde bejaht:
– BVerfGE 45, 187, 228f. – Lebenslange Freiheitsstrafe
– BVerfGE 96, 375, [399 ff.] – Kind als Schaden In Hinblick auf das Asylbewerberleistungsgesetz hat das BVerfG bestimmt, dass die Frage des Existenzminimums nicht vom Status des Anspruchsberechtigten abhängen darf.
– BVerfGE 132, 134 Auch zur Rettung Dritter ist die Tötung Unschuldiger nicht nur eine Verletzung des Grundrechts auf Leben (Art 2 GG), sondern auch eine Verletzung der Menschenwürde.
– BVerfGE 133, 241 Die Verknüpfung des Rechts auf Leben mit der Menschenwürde findet sich auch an anderer Stelle, etwa in der Forderung, dass der Staat bei Gefahr für Leib und Leben eine besondere Schutzpflicht hat:
– BVerfGE 39, 42 ff. – Schwangerschaftsabbruch I Menschenwürde als Summe aller Grund- und Menschenrechte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] Dieser Artikel oder nachfolgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen (beispielsweise Einzelnachweisen) ausgestattet. Angaben ohne ausreichenden Beleg könnten demnächst entfernt werden. Bitte hilf Wikipedia, indem du die Angaben
recherchierst und gute Belege einfügst. Da es Probleme bereitet, eine abschließende Definition der Menschenwürde zu formulieren, kann man alternativ dazu die Menschenwürde als Summe aller Grund- und Menschenrechte verstehen. Achtung und Schutz der Menschenwürde zielen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch
mit ihren entsprechenden Ableitungen
Italien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Art. 41 der italienischen Verfassung lautet:
Schweiz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Art. 7 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft:
Vorschriften bezgl. Schutz der Menschenwürde sind zudem noch in den Art. 118b (Forschung am Menschen) und Art. 119 (Fortpflanzungs-Medizin und Gentechnologie im Humanbereich) der BV zu finden. Republik Südafrika[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Section 10. (Human dignity) der Verfassung der Republik Südafrika gibt jedermann das Recht auf Achtung und Schutz seiner Menschenwürde:
Europäische Grundrechtecharta von 2009[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Sätze zwei bis vier der Präambel der Grundrechtecharta der Europäischen Union von 2009 lauten:
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einführungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Philosophie der Antike[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Aufklärung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Deutsche Klassik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Aktuelle Publikationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Kommentare[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Online-Audio-Beiträge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Was ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde?Die Menschenwürde verbietet grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen. Auch ein Straftäter darf nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden.
Was fällt unter die Würde des Menschen?Als Menschenwürde versteht man die Vorstellung, dass alle Menschen unabhängig irgendwelchen Merkmalen wie etwa Herkunft, Geschlecht oder Alter denselben Wert haben, da sie sich alle durch ein dem Menschen einzig gegebenes schützenswertes Merkmal auszeichnen, nämlich die Würde.
Wann verletze ich die Würde des Menschen?In früheren Entscheidungen ging das Bundesverfassungsgericht von der so genannten Objektformel aus. Danach ist die Menschenwürde verletzt, wenn Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden.
Wo wird die Menschenwürde heute verletzt?Die heute etwa 30 Millionen Menschen zählenden Kurden leben als mehr oder weniger starke Minderheiten in der Türkei, im Irak und Iran sowie in Syrien.
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