Es zittern die morschen knochen verboten

Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem roten Krieg. Wir haben den Schrecken gebrochen, jetzt ist es unser Sieg. Wir werden weiter marschieren, bis alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland, nein, nein, gehört ist schon mal ganz falsch und ungehörig, das sagt man nicht, denn heute, da hört uns Deutschland, muß es heißen. Oder es erhört uns halt nicht, wenns am Brenner mal brennt. Raus oder rein, das ist die Frage. Oben oder unten kann man auch fragen. Dies mein Vorschlag: Bei uns hört Deutschland auf, da ist eine Grenze, und wo es angefangen hat, und wo es mit uns weitergegangen ist, viel weiter, da ist keine Grenze, das wollen wir gar nicht wissen, ja, so müßte es richtig heißen im Lied der deutschen Arbeitsfront, wir wissen, wer heute arbeitet und wer nicht, wir wissen, wer die Fleißigen sind, die bald noch viel fleißiger sein werden müssen, wenn die Arbeitsfront erst richtig losmarschiert (selbst zwölf Stunden pro Tag wären da gar nichts, oben ist noch viel Platz, unten nicht, da sind schon zuviele). Heute verboten das Lied, so vieles ist heute verboten, sogar Lieder verbieten sie uns, aber nicht mit uns, da müßten sie erst uns selbst verbieten, bis wir das akzeptieren. Die Arbeit bleibt da, ich weiß aber nicht, wer sie derzeit hat. Wer sie hat, der hat sie auch länger, jeden Tag aufs neue, die Arbeit wird lang und länger. Da sind sie ja schon wieder, die lieben Lieder, mit denen gehts doch gleich leichter, herzlich willkommen!, da ist das Liedgut, also das gute Lied, das schon wieder gern genommen wird, obwohl es heute keiner kennt, nie gehört, und was man nicht weiß, das macht einen erst recht heiß. Das Töten ist auch wieder sehr beliebt, immer noch beliebt, war es denn jemals weg?, ersaufen auch nicht schlecht, wenn es die andren machen; und vor den morschen Knochen fürchten wir uns nicht, so viele haben wir schon geschafft und geschaffen, warum ist ihr Fleisch auch so mürbe?, und warum jetzt aufhören, wo es am schönsten ist und wir gesiegt haben, nein, nicht: heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt, aber wirklich nur uns!, es muß hören, wer fühlen kann, muß hören, so müßte es singen und klingen, nicht gehören, das wäre ungehörig, die Falschen würden auf uns aufmerksam, hören müßte es heißen im Original, also im originalen Liedtext, nicht gehören, es wäre absurd. Deutschland gehört ihnen nicht, den Burschen im Wichs, in vollem Wichs, die uns am liebsten durchwichsen würden, jeden Tag, und die machen keine halben Sachen. So hätten sies gern, bekommen es aber derzeit noch nicht.

Bitte warten Sie! Daß Deutschland uns gehört, das haben sie nur zu gern geglaubt, in Wahrheit haben jedoch sie Deutschland gehört, das sehr wählerisch ist, es nimmt nicht jeden, uns schöne, vornehme Knaben aber gern, wir wissen ja, wen wir uns vornehmen müssen; andre wiederum nimmt es nicht, die fängt es auf und schmeißt es weg, alles eins und einig, das eine Gernegroß-Land wollte wirklich gerne groß werden, das andre war es schon immer, natürlich auch deutsch, beide deutsch, alles deutsch, das Deutsche ist überhaupt das wichtigste, und in dieser Umklammerung sind sie laut singend (oder vielleicht schreiend, wenn noch Zeit dafür war) in die endlosen Gräberreihen gesunken, die den einzelnen ausradiert haben, und wo die tanzenden morschen Knochen eingesammelt und vergraben wurden.

Es zittern die morschen knochen verboten

Manchmal kommen sie wieder raus. Das Tanzen ist immer nur ein vorübergehender Zustand, irgendwann geht einem die Puste aus, aber der letzte Atemzug wird das noch lang nicht gewesen sein. Da sind wir ja schon wieder! Wir wollen den Tod, heute abend Tanz in der Aula, die man auch lesen kann, schnell, bevor es eingestellt und unter neuem Namen wieder auferstehen wird, das schöne Heft! Wir können das leider nicht, weil Gott das so nicht vorgesehen hat. Das Aula-Heftl kann man lesen, echt, doch der Tod hält das Heft fest in der Hand, Tod ist immer besser, darüber hinaus gibt es nichts; Angst vor dem Tod wäre Schwäche, die unsere Selbstsicherheit nicht kennen darf. Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt, dieses gefälschte "gehört", das eigentlich ein "hört" ist (wir brüllen eh schon so laut, Deutschland hört uns, jetzt hört es uns endlich, im Moment hört es zwar nur auf sich, aber morgen hört es uns wieder, ich freu mich schon so! Sonst hört sich nämlich alles auf, da legst di nieda, aber nicht ins Graberl, noch nicht, erst noch ins Lagerl), soll gleichgültige Ruhe gegenüber der Tatsache sein, daß man stirbt. Es kommt drauf an, für was oder wen. Allein für sich selber ist nicht erwünscht. Die Wunde im Gesicht steht für den Tod, man wird nicht ganz zerschnitten, sondern nur zu einem kleinen, aber wichtigen Teil, einem Detail. Man stirbt, aber nur zum Teil, singen kann man noch, daher will man auch gern sterben, dazu braucht man einen guten Atem, zumindest vorübergehend. Diesmal tuts ja nicht weh, außer es wird Salz in die Wunde gestreut, damit man sie besser sieht, was das wichtigste überhaupt an ihr ist. Und sehend und singend gehen wir in den Kampf für Deutschland, billiger geben wirs nicht, kleinere Münze geben wir gar nicht erst heraus, die behalten wir, wir Burschen, wir haben unsere Schäfte, jawoll!, und wir sitzen fest, weil wir uns festgesetzt haben. Da kommt keiner mehr durch! Kein Grund sich aufzuregen, kein Gegenstandpunkt, auf dem man noch bestehen, kein Grund, auf dem man noch stehen könnte, kein Grund, sich schon wieder aufzuregen. Wozu auch? Es geht ja weiter, nur nicht für alle. Es ist alles längst ausgemacht und paktiert. Diese Gleichgültigkeit, dieser Gleichmut des Siegers, der sein Ziel erreicht hat, entfremdet das Dasein seinem eigensten Seinkönnen, denkt sich der Denker und sagt es auch, sonst wüßte man es nicht. Er hat es schon einmal gesagt, jetzt kann er nicht mehr. Er weiß trotzdem, wovon er spricht oder heute sprechen würde, wenn er könnte. Jetzt aber red i!

Danach kann nichts mehr sein. Nichts und niemand. Jede Tendenz des Verfallenseins ist ausradiert, der Mund bleibt trotzdem immer offen, vielleicht kommt ja ein neues Lied, das einem hineinfliegt. Oder ein altes wird wiederentdeckt. Die nicht zu uns hereindürfen, sollten vielleicht auch singen. Und auch der Minister, der das Innere durchstreift, ob es irgendwo einen Durchbruch gegeben hat, nein, das nicht, aber einen Einbruch dort, wo die geheimen Akten liegen, der Minister also hat schon früher fröhliche kleine Verse geschmiedet, die sich als Wortwalzer, nein, Wortwalzen recht gut bewährt haben. Danach soll kein Gras mehr wachsen, hier jedenfalls nicht, woanders vielleicht schon, dort ist es grüner. Die Leute könnten doch gleich dort bleiben, oder? Das Gras ist woanders immer grüner, deshalb schließen wir schlußendlich unsre Grenzen zu und hängen uns als Schlösser davor. Hier grünt es nur für uns. Wir aber. Woran denken Sie?, fragt man uns. Wir denken nicht, wir hören und fühlen. Es gehört sich, daß uns heute Deutschland gehört, und wir können uns nicht vorstellen, daß uns Deutschland nicht will, ein bisserl was geht immer. Darauf können sie bauen, die Deutschen, daß es keinen Umweg um uns machen muß, es kann gleich alles hier auf uns drauf bauen, schöne, konzentrische, nein, konzentrierte Gebäude, darauf kann man bauen, daß die das bauen werden. Da ist noch viel Platz nach oben, nach unten nicht soviel. Gesagt, getan. Wir sind alle Akademiker oder Halbakademiker oder gar keine Akademiker, die aber auch was werden, höchste Ämter!, doch die Verbindungen lassen uns nicht rein, nicht alle Verbindungen können auch verbinden, wir sind ihnen trotzdem sehr verbunden, die Verbände kleben uns schon im Gesicht, die zeigen wir gern vor. Vielleicht können wir zum Akademiker auch ernannt werden? Dann hätten wir noch viel mehr Verbindungen, die aber gar nicht nötig sind. Leute wie wir werden überall gebraucht und überall gern genommen. Die dürfen überall herumwandern, auf Bergen und in Tälern, und die Wanderung aller anderen beenden, sie sind schon so viele. Während die anderen immer: zu viele sind. Da muß etwas ausgedünnt werden, doch ihre Worte sind schon dünn genug. Es sind geschliffene Worte.

Sie werden sich selbst wieder auferwecken, die tanzenden Burschen, das schafft kein Jüngstes Gericht, das wäre zu endgültig, da müßten sie ihre Meinung zu oft ändern, bis eine dann die letzte ist, die zählt. So lang können wir warten, die Bäume haben weniger Geduld als wir. Es hat auch lang genug gedauert, bis die Zeit der Ernte kam und die Früchtchen gepflückt wurden. Das Früher kommt nicht vor dem Ende, sonst hieße es nicht so, das Enden erledigen sie selber. Sie kommen immer wieder aus ihren Gräbern, sie singen, damit man merkt, sie sind am Leben. Man könnte sie aber ohnedies nicht übersehen. Bei diesem schönen Ball, der nicht nach ihnen benannt ist, nur nach den Akademikern, die schon was sind, was die Burschen erst werden wollen, bei dieser Tanzerei zum Beispiel, ja, auch diesmal wieder, wurden sie schon wieder wach, wie jedes Jahr um die gleiche Zeit, wie der Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser, der muß allerdings jeweils hundert Jahre warten. Da nahmen sie lieber gleich ihre Uniformen aus dem Schrank, die so mühevoll versehrten Tänzer, ihre Wunden haben ja viel Arbeit gemacht, sie suchten den Krieg, der aber schon längst gegangen war, zu langweilig diese Veranstaltung; und dennoch, ihnen ist nicht fad, den Burschen, sie sind nicht fad, sie sind keine Langweiler, sie hatten lange Zeit zu reifen, während sie sangen, und sie tanzten nun mit ihren Damen herum, im Kreis herum, wo man anfängt, dort hört man auch wieder auf, außer man wird verrückt. Alles Walzer oder was. Nächstes Jahr wieder in Wien. Alles Lied. Alles Gesang samt den dazugehörigen Gesangsbüchern, welche zum Teil schwarz eingefärbt wurden, damit man ihre richtige Farbe nicht sieht.

Es zittern die morschen knochen verboten

Sie werden immer aufgeweckt sein und bleiben, die Burschen, sie werden immer sein, was sie immer schon waren. Vorwitzig? Witzig? Ich distanziere mich von diesem Liedgut, es ist ja schon wieder neues ausgegraben und ausgegeben worden, und auch ich will immer auf dem neuesten Stand sein; im tiefen Keller sitzt es hier, das hohe Gut, bei einem Faß voll Regen, nein, Reben, oder so ähnlich, aber lustig ist es schon, wenn wir beisammen sind. War es immer. Kennen Sie dieses Gut, waren Sie schon dort? Nein? Dann werden Sie es kennenlernen und uns dazu! Uns werden Sie kennenlernen, und Sie werden sich noch wundern. Und nächstes Jahr wieder und dann noch einmal, einmal gehts noch, das sagen sie auch jedes Jahr, die Burschen mit ihren Stiefelschäften, welche die Knie verbreitern und Furcht verbreiten. Jetzt erst recht, das sagen sie auch, weil sie es schon einmal erfolgreich gesagt haben. Dann haben sie gewartet, daß es wiederkommt. Das wird ein schöner Ball, weil es jedesmal ein schöner Ball wird. Dieser Knaben selbstsicheres Dasein wird nichts andres kennen als Harmlosigkeit, Vergnügen, Freude, Gemeinsamkeit, Waffen zum Hacken und den Boden Aufbereiten. Da ist kein Grab, nirgends, das hätte man ja auch erst graben müssen, wo sollte hier eins sein? Da ist nur das schöne Parkett in seinem Wichs, unter seinem Bohnerwachs, was weiß ich, weit und breit kein Grab, nur Parkett und Hofburg, der Hort des alten Kaisers. Gott erhalte, beschützt hat er ihn nicht gerade, Gott hat ihn lang genug erhalten müssen, die Leichen wurden hübsch mit Blut verziert, und sie folgten brav dem für sie vorgesehenen Weg über höchste Berge und tiefste, mittelstarke Meere. Sogar die Hymne des lieben Kaisers ist schon längst in Deutschland angekommen, wir werden folgen, wir werden alle Deutsche sein, wir werden ihnen folgen, und unsere Lieder werden uns folgen wie Hunde, an unseren Liedern werdet ihr uns erkennen, und sie werden auch sonst folgen, sie werden uns überallhin folgen, damit wir ihnen folgen, die Lieder, auch wenns den gütigen Herrn Kaiser nicht mehr gibt.

Wir sind da schon weiter, wir sind über die Geschichte hinweggeschritten, es war nur ein kleiner Schritt, aber für uns ein großer, und jetzt sind wir wieder da, obwohl wir eigentlich von früher sind, wir haben unsere Zeit überschritten, aber nicht unseren Zenith, der kommt erst noch; wir sind unter dem Gevölke ganz besonders von früher, wie der Lichtstrahl, von dem kein Mensch weiß, wann er geboren ist, und wir sind gleichzeitig die Zukunft, genau, die sind wir auch. N0ch sind wir nicht für Deutschland gestorben, das waren unsre Großväter oder solche Leute, mit denen wir nicht verwandt sind, und andre, mit denen wir nicht verwandt sein wollen, die aber ausgerechnet zu uns wollen, es sind zuviele, wir erinnern uns nicht, keine Ahnung, woran. Wir sehen eine düstere Zukunft, aber nicht für uns. Wir haben eine Erinnerungskultur, die ist Pflicht, sie dient dazu, daß wir irgendwelche fremden Wahrheiten vor aller Augen äußerln führen müssen und nicht unsere eigenen, und dann ein Sackerl für sie herbeizaubern, damit wir sie wieder wegräumen können. Ja, wenn man die Wahrheit mal braucht, dann hat man grade keine vorrätig, oder sie hat keine Zeit. Doch die Kultur erfüllen wir, weil wir müssen, sie erfüllt uns nicht, wir erfüllen vielmehr sie mit Leben, es wird noch mehr kräftig getanzt im Volk, denn Kultur ist uns wichtig, das sagen alle, alles gehört dazu, was aus dem Volk kommt und jetzt nicht mehr weiß, wohin. Wir sagen es ihm. Es liegt daran, daß einfach zu viele Völker kommen und bleiben wollen, da wird die Kultur verwirrt, sie ist eine Volkskultur, keine Völkerkultur. Ich weiß nicht, wo sie grade ist, die Kultur, wir brauchen erst mal irgendwas, damit wir überhaupt raufkommen, dann aber fällt es uns wieder ein, und wir holen die Trittleiter, meine will danach gar nicht mehr zugehen. Wir erinnern uns so, wie man einmal stirbt, ziemlich unangenehm, ein zweites Mal machen wir das nicht, das passiert uns nur einmal und dann nie wieder, ja, so wird es zum Gedenken gesagt, das wird immer gern genommen. Genau. Wir erinnern uns, es war nicht schön, nicht mit uns!, es war schrecklich, aber mit anderen ist es noch viel schrecklicher! Es gab entsetzliche Verbrechen, wir distanzieren uns in aller Schärfe, bald werden wir es besser machen, wenn man uns die Gelegenheit dazu gibt, und die eine Million werden wir auch noch voll machen, dann sind es nämlich sieben Stück Millionen, eine ordentliche Strecke, da kann keiner was sagen. Diese Million nehmen wir halt von woanders, von wo wir sie kriegen können, es gibt ja überall Millionen von Menschen, auch dort, wo sie nicht hingehören, wo sie gar nicht sein sollten, wo sie keinen Aufenthalt bekommen, genau dort wollen sie dauernd hin. Das müssen ja nicht unbedingt wir sein, diese Millionen, nicht wahr. Es gibt Millionen andere. Ben Gurion, wo kommt denn der jetzt her?, lernen Sie das Lied, dann wissen Sie es, oder machen Sie einen Gedenkdienst, dann fällt es Ihnen wieder ein. Ist das der aus dem Lied?, nie gehört, Ben Gurion, du Jud du, das steht fest, das sind wir nicht, wir sind, was weiß ich, ist doch egal, gebt Gas, ihr alten Germanen, Gas, wieso Gas?, egal, wir meinen es nicht so, wir meinen es überhaupt nicht; wir meinen überhaupt etwas anderes, wir haben einen Elektroherd: Wer Gas sagt, muß auch Auto sagen oder Sport, Sport auch gut, wir nehmen aber lieber das Auto, das bewegt sich für uns, das hat ein jeder, das Auto, das fröhlich angast, oder wir nehmen diesen einen Skifahrer, mehr fallen mir auf die Schnelle nicht ein, ja, genau den, der auch immer Gas gibt, ist doch klar, wen sollten wir sonst auch meinen? Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million? Million? Welche Million? Die erste Million sollte man noch vor dem zwanzigsten Geburtstag machen, das ist euch doch klar, Burschen?, bewegt euch etwas schneller!, die siebte sollte man aber möglichst auch noch in der Jugend machen, sonst kann man es nicht mehr genießen, da macht das Töten oder wenigstens das Singen und Tröten vom Töten noch Spaß, mehr als Singen ist derzeit nicht erlaubt. Konzentrieren Sie sich für dieses Konzert! Wir haben Alphörner! Wehe!

Ich höre jetzt frohes Geplauder aus Menschenmündern, die hier angekommen sind, obwohl sie nie weg waren. Die nicht ankommen dürfen, die schweigen, und wenn sie nicht schweigen, hören wir sie jedenfalls nicht. Marsch ins Grab hinein und schauen, was da so passiert? So schlimm kann es doch nicht sein, das hat noch jeder Trottel geschafft, das Sterben. Das Mittelmeer ist derzeit schön warm, vielleicht wird Ertrinken ein neuer Sport für Olympia. Auf dem Grabstein steht, wir sollen uns erinnern, das wird bei jeder Gelegenheit gesagt, von jedem. Aber wen wir nicht kennen, an den erinnern wir uns natürlich nicht, das geht ja gar nicht. Wir folgen also einer Erinnerungskultur, die uns vorgegeben wurde, weil die Kultur sowieso immer unser ist, weil es uns gegeben ist, eine Kultur zu haben, die nicht jeder hat, das unterscheidet sie von anderen, zuzumindest geben wir das vor; wir geben eine Kultur vor, und die verteidigen wir, wir verteidigen sie, und wir folgen ihr, wir haben sie schließlich gerettet. Keiner hat sich dabei die Zunge abgebissen. Andre können wir nicht retten, wir können ja nicht alle retten, sonst überretten, nein, überrennen sie uns noch. Wenn wir keinen Erfolg damit haben, weil wir uns nicht mehr daran erinnern, an wen wir uns erinnern sollen, dann schaffen wir sie halt wieder ab, die Erinnerung. Die Kultur kann gleich mit ihr mitgehen, wenn sie nicht die eine oder andre Ruh gibt. Wir haben zwar Lust auf alles, und wir machen uns auch lustig über alles, aber wir brauchen es nicht. Was brauchen wir schon! Das Beste ist sowieso immer der Tod, den wir immer im Auge behalten wollen, bis die Tränen rinnen, das Heroischste ist das Sterben, auch im Tanz, der ein Totentanz ist, denn was wir tun, würde gern Krieg bedeuten, wenn man es nur ließe. Es bedeutet aber nur ein harmloses Rumgehüpfe mit etwas Hintreten und Hertreten und Herumhauen und Schreien. Wir haben Rotfront besiegt. Die Wegrichtung ist jetzt umgedreht, es ist eine andre Richtung vorherrschend, vorwärts, Kameraden, wir müssen zurück, dort war es eh viel schöner.

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Das hätten sie gern gehabt, die Burschen, und sie würden sich immer noch so freuen, wenn sie wieder zu Deutschland gehören dürften, endlich, endlich wieder und dann noch einmal, und nächstes Jahr wieder, und daß sie Deutschland auch sind, das wäre fein, vielleicht kann man das irgendwie bewerkstelligen, aber dazu müßte sich auch Deutschland ändern, wo die Leute hinter ihren Fenstern flackern, diese kleinen Lichter, anstatt zu tanzen wie wir. Es ist gerade dabei. Es ist immer mit dabei, außer bei manchen Sportarten, die sie nicht so gut beherrschen, die dafür aber sie beherrschen, ich meine, sie fühlen mit sich, diese Leute, nicht mit anderen.

Deutschland soll nicht nur hören, es soll uns gehören und wir ihm, so war es gedacht, ja, das wollten sie, die deutschen Recken mit ihren Bändchen und Kappln und Koppeln und Säbeln oder was das ist, mit denen sie einander im Gesicht herumhacken, damit sie schöner werden, denn nicht Unversehrtheit im Kampf, sondern die Versehrtheit, die Wunde ist es, was zählt, zeige sie, zeige deine Wunde, das Zeigen der Wunde ist noch wichtiger als die Wunde selbst, mit dem Zeichen der Versehrtheit, dem Öffnen des Fleisches und dem Herauslösen der morschen Knochen, um Furchtlosigkeit zu zeigen und daß wir den Tod nicht fürchten, daß wir ihm trotzen, daß wir trotzdem tanzen, erweisen wir einem Vaterland die Ehre, wir Burschen, einem Vaterland, das wir nicht sind, zu dem wir nicht gehören. Zu einem Vaterland wollen wir gehören, das woanders ist, andre haben ihr Vaterland ja auch woanders, ein Vaterland, ein deutsches, in dem wir auch nicht sein, das wir nicht sein können, aber wollen, denn wir haben ja schon eins, das ist aber keins. Kein richtiges. Es müßte irgendwie größer sein. Einmal ist keinmal. Einmal das Kainsmal und dann graben wir wieder weiter im Fleisch, das geduldig ist, andres Fleisch als unseres ist hier nicht geduldet. Das ist nicht wie bei den verlandslosen Gesellen, die dauernd dorthin wollen, wo schon wir sind, sich aber dort nicht wohlfühlen. Es fühlt sich nicht richtig an. Ist das unser Vaterland oder kann das weg? Unsre Väter sind woanders, dort liegen sie gut, manche tanzen noch immer, das ist das Gegenteil von Probeliegen. Den Mut zur Angst vor dem Tod lassen wir nicht aufkommen, denn schon das Denken an den Tod gilt als feige Furcht, die wir uns abtrainieren auf unseren Paukböden oder unsren Parkettböden, als Unsicherheit des Daseins und finstere Weltflucht, wie unser Lieblingsphilosoph schreibt, den wir aber auch nicht gelesen haben, von dem steht nichts im Liederbuch, keiner weiß was von dem.

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UND JETZT ALLE!

Das sind die Gesänge aus dem alten Liederbuch, das keiner mehr kennt, das geschwärzt wurde, das zerrissen wurde, das teilweise zerrissen wurde, das gar nicht da war, da fehlen ja Seiten, die wir noch nie gesehen haben, woher kommen die plötzlich wieder?, das zerfleddert ist und geschändet, das arme!, oje, da ist was durchgestrichen, was, das soll nicht leben dürfen?, das bewegt sich doch längst nicht mehr und bewegt auch sonst niemanden!, macht nichts, dann lebt halt was andres, das umso lebendiger ist und aus der Erde steigt, denn diesmal machen wir es besser, diesmal werden wir danach garantiert nicht tot sein, den Fehler haben wir nur einmal gemacht. Wir haben uns jetzt mit den lieben, freundlichen Christeln verbunden, mit denen tanzen wir jetzt, jeder Christ kriegt seine Christl, und hat er keine, braucht er eine. Ein rechter Christ ist das, mit der wir uns auf dem Parkett herumdrücken. Wir bestreiten, solche Lieder zu singen oder gesungen zu haben, wir bestreiten, die Weltansicht dieses Dichters zu übernehmen. Wir übernehmen lieber die Weltansicht eines andren Dichters, ich habe seinen Namen vergessen, es hängen Gedenktafeln für ihn, die Wände ächzen schon, wir mustern seine Werkstatt, in der herumgeschmiedet und herumgeklittert wird. Sei gesegnet ohne Ende, wo sich der Wildbach sträubt, wo sich der ewge Schnee spiegelt im Alpensee, mein Gott, ist das kalt, aber man muß ja nicht unbedingt reinsteigen! Sie sehen schon: Wir übernehmen nicht jeden, wir nehmen nicht jeden, wir übernehmen uns nicht, unser Hören ist nicht fragwürdig, unser Sehen fragt sowieso nach nichts, und wir wissen sicher, daß wir diese Lieder wollen und andre eben nicht, Heimaterde wunderhold! Freundlich schmücken dein Gelände Tannengrün und Ährengold. Deutsche Arbeit, ernst und ehrlich, deutsche Liebe, zart und weich. Vaterland, wie bis du herrlich. So geht das und nicht anders, warum sollten wir etwas anderes wollen? Wir wollen jetzt, daß der Bursch ein Mädel liebt, ein Mannderl ein Weiberl. Jedem das Seine. Wir sind nicht im Einklang mit einem andren Klang, wir sind, keine Ahnung, was wir sind, im Einklang mit uns, ja, wir sind im Einklang, nein, im Gleichklang mit dem Grundton eines Gedichts, welches ganz sicher dieses Gedicht ist, das noch von der Heimat spricht, auch wenn sie untergegangen ist, grade dann!, jetzt erst recht!, wir halten ihr die Treue, und zwar etwa so: Gott schuf es so reichbegabt und hat es liebgehabt. Mich leider nicht. Da kann man nichts machen.

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Ich glaubs nicht: Da kommt noch so einer, der keine Heimat hat, warum soll man das Wort nicht sagen, der kein Vaterland hat, selber schuld, und es auch nicht liebt, nicht so, wie wir unsres lieben, wir hören nicht gern: "Ein neues Lied, ein besseres Lied? Hast du Töne? Der Jud Heine spricht ja immer noch, wie kann das sein? Der ist doch tot! Genau das hätten wir für ihn auch vorgesehen gehabt, er hat es aber ganz allein gekonnt. Töne? Was für Töne sollen das sein? Sollen das die großen Töne sein, die da jemand gespuckt hat? Wieso ich? Ich soll mal im Keller suchen und singen und tanzen und lachen gehn? Hab ich etwa keinen Humor? Das war Ironie! Bitte! Habe ich da etwas nicht verstanden? Da muß ich erst ein paar Kartons durchschauen und ein paar Leute durchhauen. Nein, ich habe Ihre Töne nicht, suchen Sie woanders, ich habe sie jedenfalls nicht. Ich erhebe mich von meinem Platz, und dann setze ich mich wieder hin. Spaßverderberin! Die wollen doch nur spielen! Sie machen sich nur lächerlich! Ich gehe in die umgekehrte Wegrichtung, aber richten kann ich auch nichts mehr, und richten soll ich ja auch nicht, damit nicht ich gerichtet werde. Was wollen Sie denn? Die alten Lieder sind doch noch gut, sag ich doch!, was keifen Sie da herum?, da ist doch noch Fleisch dran! Ich zweifle an nichts. Wenn Sie es sagen, wird schon was dran sein.