Die aufgabe des menschen ist zu leben, nicht zu existieren james bond

James Bond, Daniel Craig, ein Sozialist, ein Lord, Zitate, Stickware und eine zerquetschte Kartoffel

Ausgerechnet die Upper-Class Figur James Bond ruft uns den Sozialisten und Romanautor Jack London wieder ins Gedächtnis. Es hätte ihn wohl überrascht, den so früh verstorbenen amerikanischen Abenteurer, der sich zeitlebens für Schwächere stark machte.

Oder vielleicht auch nicht? Jack London ist uns durch seine Abenteuergeschichten wie „Der Seewolf“ oder „Ruf der Wildnis“ bekannt. Der Romanautor war mit Sicherheit eine ebenso gebrochene Figur, wie der von Daniel Craig gespielte James Bond in den letzten fünf Filmen. Eine gebrochene Figur mit viel Vorbildcharakter, aber eben auch mit vielen eher fragwürdigen Eigenschaften und Charakterzügen.

Achtung. Unter Umständen Spoiler.

Ich muss zugeben, ich habe nach dem Kinobesuch von „No time to die“ eine Woche mit mir gerungen, ob ich mich den siebeneinhalb Millionen Suchtreffern zum Jack-London-Zitat bei Google anschließen und auch etwas über das Zitat am Ende des Films schreiben möchte.

Ich möchte.

Da das Jack-London-Zitat aber nicht das Einzige ist, das ich persönlich in dieser Bond-Reihe für bedeutsam halte, sind es jetzt drei Beiträge geworden, da ich einfach zu viele Details und Nebenschauplätze entdeckt und aufgeschrieben habe. Ich bin auch der Auffassung, dass wir eigentlich alles über die Zitate wissen sollten, bevor wir ihre Bedeutung wirklich verstehen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ich über die Bedeutung der Zitate vielleicht mehr Worte verliere, als die Macher des Films sich Gedanken zu ihnen gemacht haben.

Dies hier ist Teil I - eine Einführung.

Die aufgabe des menschen ist zu leben, nicht zu existieren james bond
Poster für den Film No Time To Die, Urheber: Universal Studios, Quelle: Wikipedia

Alpha und Omega

Jedes Ende ist immer ein Anfang

Noch beeindruckt von der Schlussphase des 25sten Bond-Films - des fünften Filmes mit Daniel Craig - gefiel mir die, dann ganz am Ende folgende, schöne Szene sehr gut. Sich wertschätzende Menschen finden sich in einem gemütlichen Raum zusammen, Whisky wird eingeschenkt, Whisky wird getrunken, es wird angestoßen. Whisky, der sich irgendwie in Gläsern schöner macht als Korn, Wodka oder eine andere farblose alkoholische Flüssigkeit.

Golden ist nicht nur der Whisky - in all seinen herstellungsbedingten farblichen Abstufungen - golden ist umgangssprachlich auch der Herbst, eine Jahreszeit, in der sich das Chlorophyll in den lebendigen grünen Blättern zurückbildet, die sommerliche Vitalität des Baumes zurückgeht und komplett eingestellt wird. Die Blätter absorbieren jetzt auch den grünen, vitalen Anteil des Sonnenlichtes und geben nur noch goldgelbes, dann verwelkendes beigefarbenes, braunes Licht ab. Der Herbst ist die Jahreszeit, die wir am meisten mit der letzten Phase eines Lebens verbinden, insofern trifft Whisky mit seiner Eigenfärbung diese metaphorische Symbolik perfekt.

Wir sehen diesen goldenen amberfarbenen Honigton in den Gläsern - schon wird uns als Zuschauern trotz der vorhergehenden Gewalt ganz warm ums Herz. Dass in Filmen grundsätzlich viel Whisky getrunken wird, das wissen wir seit Serien wie Suits, die das Whisky-Trinken geradezu zelebriert (in der Serie „The Good Wife“ wurde mehr Rotwein getrunken, aber das hat mit der Geschichte jetzt wirklich nichts zu tun). Bill Murray macht sich in „Lost in Translation“ darüber lustig. So ein wenig. Als Zuschauer sind wir schon fast konditioniert; ein Glas Scotch - das kommt dem ultimativen Seelenheil gleich. Man kann ihn aus Genuss oder Freude trinken, zu feierlichen Anlässen oder sogar seinen Frust und seine Sorgen mit ihm hinunterstürzen. Whisky ist eigentlich überhaupt nicht Bonds Getränk, aber das in dieser Szene Whisky getrunken wird und nicht Martini, das hat eben seine Gründe.

Was dieser Szene nun noch fehlte?
Ein schönes Zitat.

Und so kam es dann auch: M, Bonds Chef, nimmt ein erstaunlich dickes Buch zur Hand (zu dem später) und zitiert:

The Bulletin, San Francisco

Die wahre Aufgabe eines Menschen ist es, zu leben, nicht nur zu existieren. Ich soll meine Tage nicht dazu verschwenden, sie zu verlängern. Ich soll meine Zeit nutzen.

Quelle: Jack London, 1916

Wow. Das klingt wie „Carpe Diem“. Nutze den Tag. Eigentlich lautet Horaz Zitat ja im Original anders, nämlich: „Pflücke den Tag“. Es stammt aus einem, in der griechischen Sprache und im gärtnerischen Kontext geschriebenen, Lied, einer Ode, die von einem der berühmtesten römischen Dichter stammt. Zumindest lehnt sich das Zitat von Jack London an das von Horaz an, ist aber doch ganz anders gemeint. Dazu später.

Und jetzt?

Das Gehörte können wir nun, im Gegensatz zu einer echten Beziehung zu den filmischen Figuren, in Gedanken aus dem Kino mitnehmen. Wir trinken ja keinen Whisky mit den Darstellern, die uns so ans Herz gewachsenen sind. Statt dessen packen wir dieses schöne Zitat in unseren Kopf, von dem wir nicht genau wissen, was es bedeutet, vor welchem Hintergrund es steht. Soll es den Hauptdarsteller - ja was eigentlich verkörpern? Abbilden? Ihn uns als Vorbild darstellen? Oder ist eigentlich das Gegenteil der Fall: wickeln sich die Worte wie Poison Ivy (giftiger Efeu) um den heroischen Charakter und er sinkt im rhetorischen Sinne wie ein Herakles im Nessoshemd gewandet darnieder? (Das Nessoshemd ist ein mit giftigem Blut getränktes Gewand der griechischen Mythologie, das Deïaneira Herakles schenkt.)

Zitate sind ein zweischneidiges Schwert - sie können tatsächlich Hilfe, Anlass zu tiefen Gedanken oder sogar Lebenshilfe sein oder das Gegenteil, nämlich nur ein billiger Kalenderspruch, der in einer Woche oder mehr wieder vergessen ist. Also was sind solche, bedeutungsvoll vorgetragenen Zitate eigentlich wert? Welche Bedeutung sollten sie für uns haben? Sollten sie überhaupt eine Bedeutung für uns haben oder sind sie einfach nur ein pathetisches Stilmittel der Filmemacher, das den Filmmoment dramaturgisch überhöht, aber weder echten Inhalt noch echte Gefühle transportiert. Ja, ich weiß, dass es nur eine Leinwand und Darsteller sind, aber der Spaß im Kino fängt ja erst an, wenn man dies vergisst.

Über Kreuz gestickt

Rotgestickte Zitate in beigefarbenen Holzrahmen

Lost in Translation

Der Ausspruch „Carpe Diem“ ist das perfekte Beispiel für eine Sinnentstellung eines Zitates, in dem man Worte aus einem Zusammenhang entnimmt, den irgendwann niemand mehr kennt. Der römische Dichter Horaz hat weniger den Umstand gemeint, dass man den Tag sinnvoll nutzen solle, in dem man ihn nicht unnütz verstreichen lässt  - zum Beispiel durch Müßiggang oder Nichtstun. Nein, er meinte seine Äußerung eher in einem gärtnerischen Kontext, im Sinne von „Pflücke den Tag“, wie man eine kostbare Beere oder einen wunderschönen, rotbackigen Apfel vom Baum pflückt. Als einmalige und köstliche Frucht, die es mit allen Sinnen zu Genießen gilt. Die Autorin Maria S. Marsilio hat aufgeschrieben, wie der Sinn durch die Übersetzung verloren ging.

Quelle: Two Notes on Horace, Maria S. Marsilio

Noch mit 16 Jahren dachte ich, Zitate sind etwas, das man mit roten Kreuzstichen auf ein weißes Leintuch stickt. Diese wurden dann in einem beigebraunen Holzrahmen im Flur zwischen Küchen- und Wohnzimmertür aufhängt. Da hing dann zum Beispiel: „Sich regen bringt Segen“ oder schon mit mehr Worten „Die Ehe ist ein Übel, ein bittersüßes Joch, sie gleicht wohl einer Zwiebel, man weint und isst sie doch“. Als jugendlicher Mensch wendete ich mich entsetzt ab. Zitate sind doch nur Platitüden alter Menschen, die uns vom freien Leben abhalten, oder? Die nächsten, die uns nach unseren Eltern mit zitierten Weisheiten nervten, das waren die Deutschlehrer, zu meiner Generation alle kurz nach dem Krieg bestimmt noch in echten Lyceen aufgewachsen. Andererseits: meinen Vater habe ich immer bewundert, er kannte viele große Gedichte auswendig. Das habe ich nie geschafft.

Jetzt leben wir in einer anderen Epoche. Ich glaube noch nie kursierten so viele Zitate wie heute. Man kann sie via Newsletter abonnieren, sie haben eine eigene Wikipedia-Unterseite namens Wikiquote und wer will findet irgendwo auf Twitter Dutzende auf schöne Landschaften gepinnte Weisheiten, die oftmals nicht mal echt sind. So gibt es auch Menschen, die nichts anderes tun, als Zitate zu prüfen, wie zum Beispiel Gerald Krieghofer. Denn leider gibt es nichts Schöneres als Geistesgrößen wie zum Beispiel Albert Einstein Zitate unterzuschieben, und sei es zu sozialen Netzwerken, die es zu seiner Zeit noch nicht mal gab.

Leider werden Zitate oft aus dem Zusammenhang gerissen. Das wird schon bei „Carpe Diem“ deutlich, einer Redewendung, die sein Autor eher als gartenbauliche Floskel gemeint hat. Die Redensart "aus dem Zusammenhang reißen", macht eigentlich schon im Verb die Gewalt deutlich, die dem Ursprungstext angetan wurde. Denn: Wer kennt sie schon, die ganzen Hintergründe, den Kontext, die Lebensgeschichte, die dem Text und der Textidee voraus ging? Wer macht sich die Mühe, dies herauszufinden?

Dazu fällt mir ein anderes Bild ein: Vergleichen wir die Zitate mit einem einzelnen, herausgelösten Werk eines Künstlers, zum Beispiel mit den Stierköpfen und Tauben, die Picasso am Ende seines Lebens so formvollendet mit einem Strich zeichnen konnte, wird schnell deutlich, dass wir nur durch ein sehr sehr beengtes Fenster auf sein Lebenswerk blicken. Sein ganzes Leben ging dem einen Bild voran. Diese lange Zeit hatte er sich auf diesen einen Strich vorbereitet. Der kunstvolle Strich ist das Ergebnis eines tausende von Stunden andauernden, übenden Schaffens- und Kreativitätsprozesses. Und genau so schreiben, verwerfen, üben, publizieren Autoren und Dichter und dann wird aus diesem Schaffen ein Bruchstück eines Teiles genommen, eine oder zwei Zeilen aus einem Gedicht; eigentlich nur ein Fetzen ihres ganzen Lebens statt ein vollständiger Blick auf das Ganze.

Was haben wir also davon? Was sehen wir eigentlich in einem Zitat? Was bedeutet das Zitat, vor welchem Hintergrund ist es entstanden, von wem stammt es?

Zum ersten Mal habe ich mich entschlossen, aus einem langen Beitrag drei zu machen, also bitte einfach unten klicken. Diese Einführung als Teil I, dann einen Beitrag zum Tennyson-Zitat aus Skyfall, das dem Jack-London-Zitat vorausging, als Teil II. Und schließlich Teil III, mein Beitrag zum Zitat aus dem letzten Bond „No Time To Die", das perfekt auf die letzte Verfilmung mit Daniel Craig als Bond abgestimmt ist.

tl, dr;

Der letzte James Bond Film mit Daniel Craig hat mich dazu inspiriert über die Herkunft, die Bedeutung und den Sinn von Zitaten zu schreiben. Zitate können zum Nachdenken anregen. Aus dem Zusammenhang gerissen finde ich persönlich Zitate bedeutungslos; ob wir ihnen einen Einfluss auf unser Leben zu billigen, müssen wir selbst entscheiden.

Was sagt M am Ende von James Bond?

Nach noch einer Szene mit Bonds hinterbliebener Geliebten Madeleine Swann (Léa Seydoux) und der gemeinsamen Tochter rollt der Abspann – und es erklingt „We Have All The Time In The World“, gesungen von Louis Armstrong.

Was steht im Abspann vom neuen Bond?

Fest steht aber, dass es weitergehen wird, denn nach dem Abspann ist bei "No Time to Die" zu lesen "James Bond wird zurückkehren". Vermutlich wird es eine Pause von 4 bis 5 Jahren geben und dann einen kompletten Neustart der erfolgreichen Agentenfilmreihe.

Hat James Bond überlebt?

Bond hat alle Actionheld*innentypen überlebt, selbst den Typ Bourne, gegen den Craig in erster Linie während der 2000er-Jahre antrat. Denn er hat den Schwarzeneggers, Willis' und Damons eines voraus: Er wird stets neu geboren. Daniel Craigs Abschiedsvorstellung mit „Keine Zeit zu sterben“ beendet seine Ära definitiv.

In welchen Teilen Stirbt James Bond?

James Bond starb 1967 einen grausamen Tod, im Zweikampf besiegt von dem bulgarischen Agenten Avakum Zahov. So jedenfalls in dem Roman «Avakum Zahov sreschtu 07» («Avakum Zahov gegen 07») des bulgarischen Schriftstellers Andrej Guljaschki.