Antibiotika zu früh abgesetzt was tun

Die Antibiotika-Tabletten immer zu Ende nehmen, auch wenn es einem besser geht, heißt es heute noch oft beim Arzt. Aber das züchtet resistente Erreger erst heran, warnen Experten.

Viele Patienten wunderten sich schon immer: Weiter Antibiotika schlucken, obwohl das Fieber längst verschwunden war, das wollte nicht jedem einleuchten. Also setzten manche die Mittel ab, sobald sie die Lungen- Hals- oder Mittelohrentzündung nicht mehr spürten – und bekamen Ärger mit dem Arzt. Wer einen Infektionserreger nicht mindestens sieben, wenn nicht gar zehn Tage mit der vollständigen Tablettenpackung bekämpft, wurden sie belehrt, fügt nicht nur sich selbst Schaden zu. Schließlich müsse er damit rechnen, dass der Erreger neue Kräfte sammelt und die Entzündung wieder aufflammt. Er schade auch den Mitmenschen, weil er es den Bakterien ermögliche, neue Überlebensstrategien zu entwickeln und gegen die Mittel unempfindlich zu werden.

Den Ärzten gehen die Medikamente aus

Heute ist man schlauer. Und weiß: Das Gegenteil ist der Fall. Mit jedem Tag, den ein Antibiotikum länger eingenommen wird, steigt das Risiko, dass sich die Keime an das Medikament gewöhnen. Das wird zunehmend zum Problem. Den Ärzten gehen die Medikamente aus. Immer mehr Erreger sind gegen ein, zwei oder sogar alle gängigen Antibiotika unempfindlich geworden. Allein in der EU fallen jedes Jahr rund 25.000 Menschen solchen multiresistenten Keimen zum Opfer.

"Ein-Wochen-Regel ist unsinnig"

„Die Ein-Wochen-Regel als solche war schon immer schlecht begründet oder sogar unsinnig“, sagt Winfried Kern, Leiter der Infektiologie an der Universitätsklinik Freiburg. Sie war auch schon immer unlogisch: Wer einen Krankheitserreger schnell und gründlich genug ausrottet, hatte man sich einst überlegt, lässt ihm gar keine Zeit, Resistenzen zu entwickeln. Was die Väter der Idee allerdings nicht bedachten: In der Regel sind die Resistenzen schon da, noch bevor das Mittel überhaupt gegeben wird.

Multiresistente Keime gibt es schon immer

Schon Alexander Fleming war, als er 1928 das Penicillin entdeckte, umgeben von Keimen, die in der Lage waren, das Mittel zu zerstören. Selbst in der eisigen Antarktis oder mitten im Ozean stößt man auf Bakterien, denen viele Antibiotika nichts anhaben können. Der Grund: Die meisten Mittel stammen ursprünglich von Mikroorganismen, die sich mit ihnen seit Millionen von Jahren bekriegen. Und die sich deshalb schon seit Millionen von Jahren gegen solche Waffen wappnen.

Gefährliche Nebenwirkungen

Deshalb muss man bei jedem Antibiotikum immer mit einer gefährlichen Nebenwirkung rechnen: Dass das Medikament den unempfindlichen Keimen erst freie Bahn verschafft. Die Super-Erreger müssen nun nicht mehr mit ihren anfälligen Artgenossen um den knappen Raum und die beschränkten Nährstoffe kämpfen. Je länger die Therapie gegeben wird, desto mehr Konkurrenten räumt das Mittel aus dem Weg. Und desto besser gedeihen die unempfindlichen Bakterien.

Mutierte Superkeime

Zudem kommen ständig neue Resistenzen dazu: Unter 100 Millionen Keimen ist im Schnitt immer einer, der bei der Vermehrung zufällig einen Fehler in sein Erbgut einbaut; ein Fehler, der ihn weniger verwundbar macht für Antibiotika. Durch solche Mutationen lernen Bakterien zum Beispiel, die Medikamente schnell wieder aus ihrem Inneren herauszupumpen (siehe Grafik).

Resistenz-Vererbung über Genschnipsel

100 Millionen klingt nach viel, doch diese Mikrobenzahl ist bei einer Infektion schnell erreicht – und sie verdoppelt sich alle 20 Minuten. Manche Erreger werden durch die Medikamente sogar zusätzlich stimuliert, Resistenzen über kleine Genschnipsel an andere Bakterien weiterzugeben. Oder sie produzieren – beispielsweise bei Mukoviszidose-Kranken in der Behandlung – gerade besonders viele unerwünschte Mutationen.

Unordnung in der Bakterien-WG

Die Ein-Wochen-Regel kann schon allein deshalb nicht aufgehen, weil die meisten Resistenzen gar nicht am Ort der eigentlichen Infektion entstehen. Unser Körper wird in Darm, Haut oder Nasen-Rachenraum von Aberbillionen harmlosen Bakterien besiedelt, die der Therapie ebenfalls ausgesetzt sind. Wer den Erreger im Hals ausrottet, verhindert zwar vor Ort Rückfälle, züchtet aber oft neue Unempfindlichkeiten im Darm. Und bringt dort zudem die bakterielle Wohngemeinschaft durcheinander.

Je schneller die Behandlung, desto besser

Je schneller eine Behandlung zu Ende ist, darüber sind sich deshalb die meisten Experten inzwischen einig, desto seltener entstehen solche Probleme. Um zu prüfen, wo sich Antibiotika einsparen lassen, testen sie nun Krankheits- für Krankheitsbild durch, ob nicht auch kürzere Zyklen ihren Zweck erfüllen. Bei Lungenentzündungen außerhalb des Krankenhauses, hat man zum Beispiel herausgefunden, reichen oft drei statt der bisher üblichen acht Tage Therapie. Denn manchmal genügt es schon, die Bakterien entscheidend zu schwächen, danach übernimmt das eigene Immunsystem den Rest. Viel schneller als gedacht ließ sich auch eine Streptokokken-Angina bei Kindern, eine chronische bakterielle Bronchitis oder eine Nasennebenhöhlenentzündung besiegen. In Zukunft möchten die Wissenschaftler mit ähnlichen Studien noch für viele andere Krankheitsbilder ermitteln, wo sich Antibiotika einsparen lassen.

Wissenlücken in Arztpraxen

Allerdings haben sich außerhalb der Universitätskliniken die meisten dieser Erkenntnisse kaum herumgesprochen. In vielen Praxen nicht die einzige Wissenslücke: „Manche Kollegen“, sagt Sören Gatermann, Leiter der Abteilung Medizinische Mikrobiologie an der Bochumer Universität, „verschreiben immer noch das gleiche Mittel, das sie seit 20 Jahren geben.“ Vielen Niedergelassenen sei oft nicht klar, dass das von ihnen gewohnheitsmäßig verwendete Antibiotikum inzwischen nicht mehr Standard oder sogar unwirksam ist.

Viele unnötige Verschreibungen

2016 nahmen amerikanische Forscher das Verschreibungsverhalten ihrer niedergelassenen Kollegen genauer unter die Lupe. Ergebnis: Jede dritte Antibiotikaverordnung, berichteten sie in der Fachzeitung „Jama“, wäre gar nicht nötig gewesen. Bei einer genaueren Analyse zeigte sich, dass die Mediziner bei jedem zweiten Patienten auch noch zum falschen Medikament gegriffen hatten: Es half entweder rein gar nichts oder es attackierte außerdem zu viele unbeteiligte Keime.

Unsichere Ärzte

Petra Gastmeier hat versucht, die Gründe für diese Missstände zu ermitteln. Oft seien die Ärzte einfach unsicher, hat die Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Berliner Charité herausgefunden. Und greifen deshalb lieber einmal zu viel als einmal zu wenig zum Rezeptblock. Zusammen mit Kollegen von mehreren deutschen Universitäten hat sich Gastmeier vorgenommen, die Antibiotikatherapie in den Praxen zu professionalisieren.

Aufklärung über Antibiotika-Alternativen

„Rationaler Antibiotikaeinsatz durch Information und Kommunikation“ nennt sich ihr Modellprogramm, abgekürzt RAI. Das Projekt erforscht etwa das Verschreibungsverhalten der Kollegen. Und greift ihnen bei Bedarf unter die Arme. Mit Informationsblättern, die auf den Einzelnen zugeschnitten sind, klären die Wissenschaftler die Patienten über Antibiotika-Alternativen oder den Unterschied zwischen viralen und bakteriellen Infektionen auf. Denn oft seien es die Patienten, erzählt die Expertin, die ihren Doktor zu sinnlosen Verschreibungen drängten. Viele Laien ahnen noch immer nicht, dass Antibiotika bei Viruskrankheiten nichts nützen. Die Broschüren im Wartezimmer sollen es dem Arzt abnehmen, diese Wissenslücken zu stopfen.

Antibiotika-Standards hinterfragen

Die Charité-Mediziner bieten den Kollegen auch Fortbildungsveranstaltungen an oder eine Smartphone-App. Damit soll der Arzt den eigenen Antibiotika-Verbrauch dokumentieren. Wer erst einmal sieht, wie viele Rezepte er ausstellt, so das Kalkül, wird das eigene Verschreibungsverhalten eher hinterfragen. Doch nicht nur die Ärzte sind nicht immer auf dem neuesten Stand, die gesamten medizinischen Antibiotika-Standards müssen hinterfragt werden. Will ein Arzt herausfinden, mit welchem Erreger er es zu tun hat, dann entnimmt er eine Gewebeprobe und schickt sie ins Labor. Dort züchtet der Mikrobiologe den Keim an und setzt ihn unterschiedlich hohen Antibiotika-Dosen aus. Das Problem ist: Der Keim reagiert in der Petrischale anders im Patienten. Es kann sein, dass er unter den experimentellen Bedingungen aufhört zu wachsen, aber sich im Körper weiterentwickelt.

Zu hohe Grenzwerte

Dafür hat man als eine Art Umrechnungsfaktor sogenannte Grenzwerte eingeführt, die dem behandelnden Arzt sagen sollen, in welcher Konzentration er ein im Reagenzglas erfolgreiches Medikament dem Patienten verabreichen muss, damit es die Bakterien auch im Körper stoppt. „Inzwischen wissen wir aber, dass diese Grenzwerte in vielen Fällen zu hoch angesetzt waren“, sagt Sören Gatermann. Es fehlt zum einen an ausreichend Studien; zum anderen saß die Pharmaindustrie mit in den Empfehlungsrunden. Und die hat ein Interesse daran, dass die Grenzwerte möglichst hoch liegen, denn das bedeutet: mehr verkaufte Medikamente. Gatermann will das jetzt zusammen mit elf Kollegen aus unterschiedlichen Ländern ändern: Das Europäische Komitee für Antimikrobielle Empfindlichkeits-Testung, kurz Eucast, ist dabei, jeden einzelnen dieser Grenzwerte zu überprüfen und mit den vorliegenden Studien abzugleichen. Ein Mammutprojekt: Es gibt rund 100 zugelassene Wirkstoffe, deren Wirksamkeit zudem davon abhängt, bei welchem Erreger, bei welcher Infektionsart und wie sie verabreicht werden – ob als Tablette oder Infusion.

Antibiotika zu früh abgesetzt was tun
Durch zufällige Erbgutveränderungen, die sie manchmal an andere Stämme weitergeben, lernen Bakterien, gegen Antibiotika resistent zu werden. Unter 100 Millionen Keimen – und diese Zahl ist bei einer Infektion schnell erreicht – findet sich im Schnitt immer einer, der bei der Vermehrung zufällig einen Fehler in sein Erbgut einbaut; ein Fehler, der ihn weniger verwundbar macht für Antibiotika. Eine Abwehrstrategie von Bakterien ist die Pumpe (blau, violett): Die Wirkstoffe des Medikaments (grün) werden schnell durch Eiweißtunnel entsorgt, bevor sie in der Zelle Schaden anrichten.

Was passiert wenn man ein Antibiotikum zu früh absetzt?

Wird das Medikament zu früh abgesetzt, können aus den verbliebenen Sporen neue infektionstüchtige Bakterienzellen entstehen. Das Risiko für eine erneute Infektion im noch geschwächten Immunsystem ist dann erheblich.

Was passiert wenn man Antibiotika einen Tag vergisst?

Ob eine vergessene Tablette nachträglich genommen werden sollte, hängt vom zeitlichen Abstand bis zur nächsten fälligen Dosis ab. Darüber informiert die Packungsbeilage, im Zweifelsfall hilft auch Ihr Arzt oder Apotheker weiter. Nicht verwendete Antibiotika entsorgen Sie bitte nur über den Hausmüll.

Kann man Antibiotika nach 5 Tagen absetzen?

Das klassische Beispiel dafür ist die Blutstrominfektion mit Staphylococcus aureus, eine der häufigsten schweren Infektionen überhaupt. Hier dürfen die Antibiotika nicht nach 5 oder 7 Tagen abgesetzt werden, auch wenn der Patient fieberfrei und das PCT normalisiert ist.

Kann man Antibiotika nur 3 Tage nehmen?

Antibiotika niemals in Eigenregie absetzen „Bei einer Harnwegsinfektion kann es mitunter ausreichen, das Medikament nur einen Tag lang einzunehmen. Im Falle einer schweren Infektion mit Staphylokokken dagegen müssen Betroffene Antibiotika oft mehrere Wochen lang zu sich nehmen“, erklärt der Mediziner.